Blindes Grauen
sie.
Der Stille Mann antwortete natürlich nicht.
»Wir haben alles getan, was dieses Schwein wollte«, sagte MeChelle. »Wir haben das Verbrechen aufgeklärt. Wir haben Stillschweigen bewahrt und keine anderen Polizisten informiert. Wir haben die ganze Zeit mit diesem Dreckskerl kooperiert. Aber jetzt tut er nicht, was er versprochen hat. Wir müssen jetzt etwas unternehmen.« Sie machte eine Pause. » Du musst etwas unternehmen.«
Tick. Tick. Tick. Tick. Tick. MeChelle zählte die Ticks. Es dauerte eine Minute und siebenunddreißig Sekunden, bevor der Stille Mann schließlich etwas sagte. Aber letztlich durchbrach er das Schweigen.
Er flüsterte: »Was soll ich denn tun?«
Auch sie senkte die Stimme. »Finde einen Weg zur Tür hinaus. Dann führ mich nach draußen.«
Eine lange Pause.
»Hör mal«, sagte er bittend. »Was ist, wenn da draußen jemand mit einem Maschinengewehr steht? Dann bin ich tot.«
»Und wenn du unrecht damit hast, diesem Typ zu vertrauen? Ich meine, das ist jemand, der zwei Leute entführt hat, ihnen mit dem Tode droht, eine Polizistin angegriffen hat, einer Polizistin die Augen zugeklebt hat … das reicht schon für zweimal lebenslänglich. Was für ein Idiot würde so jemandem trauen? Nichts hindert ihn daran, den nächsten Schritt zu gehen.«
»Welchen nächsten Schritt?«
»Uns zu töten! Was glaubst du denn, du Dussel?«
Sie konnte spüren, wie der Stille Mann innerlich schwankte. »Du solltest bei Todesstrafe eigentlich nicht mit mir reden. Aber wir reden schon miteinander«, flüsterte sie drängend. »Ist jemand reingekommen und hat dich erschossen? Nein.«
Immer noch antwortete er nicht. Schließlich flüsterte er: »Hör mal, ich bin kein Actionheld.«
»Man muss auch kein Actionheld sein, um eine Tür zu öffnen.«
Tick. Tick. Tick.
»Ja«, sagte er schließlich. »Da hast du wohl recht.«
Dann hörte sie, wie ein Schlüssel in ein Schloss geschoben wurde, eine Tür öffnete sich.
Heißer Zorn durchfuhr sie. »Du hast einen Schlüssel? !«, schrie sie. »Die ganze Zeit hattest du einen Schlüssel?«
»Oh nein«, flüsterte der Stille Mann. »Bitte …«
Dann hörte sie einen lauten Knall. Eine Pause, dann noch einen lauten Knall. Pistolenschüsse. In dem kleinen Zimmer war der Schalldruck auf ihren Ohren enorm. Ihr Herz begann zu rasen.
Jemand grunzte, dann hörte sie einen Aufschlag, als stürzte er zu Boden.
Danach grunzte wieder jemand. Sie hörte ein Zerren und Stoßen.
Sie müssen ihn erschossen haben! War sie als Nächstes dran?
Sie rief: »Du verdammter …«
Sie warf sich in Richtung des Lärms, sie krallte mit den Händen durch die Luft. Aber sie hatte den Tisch mit den Hinweisen darauf vergessen. Er stand genau im Weg. Sie knallte mit der Hüfte gegen den Tisch, verlor das Gleichgewicht, stürzte zu Boden.
Noch mehr Grunzen und Schleifen. Als zerrte jemand eine Leiche über den Teppichboden.
MeChelle erhob sich zügig, dann eierte sie in Richtung der Geräusche. Sie versuchte, es allen schwer zu machen, die möglicherweise auf sie schießen wollten. Sie wollte verdammt sein, wenn sie ohne Gegenwehr aufgeben würde.
Aber sie kam zu spät.
Die schwere Stahltür knallte zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Sie donnerte gegen die kühle Metalloberfläche, und der Aufprall ließ sie ein zweites Mal zu Boden gehen.
Sie lag am Boden und rang nach Atem. Dann spürte sie etwas unter sich. Etwas Klebriges.
Blut.
Der ganze Boden war voll Blut. Sie sprang auf die Beine. Der Stille Mann musste auf den Teppich geblutet haben, als sie ihn zur Tür herauszerrten.
Die Stimme kam aus der Decke. »Er wusste, dass er nichts hätte sagen dürfen. Ihnen bleiben noch … sieben … und … zwanzig … Minuten. Wenn Ihr Partner in dieser Zeit eine Verhaftung vornimmt, werden Sie trotz allem lebend hier herauskommen.«
»Du lügst!«, schrie sie. »Wir haben alles getan!«
Sie lag schweigend da und wartete auf eine Antwort. Aber die Stimme hatte nichts mehr zu sagen.
»Du hast den armen Kerl wegen nichts getötet.«
Nichts.
Sie stand einen Moment lang schweigend da, ihre Wut nahm langsam ab. Dann richteten sich die Härchen in ihrem Nacken auf. Warum?
Sie kam nicht darauf. Etwas hatte sich verändert. Etwas war anders. Ein Geruch? Nein. Ein Geräusch? Nein. Und da merkte sie es. Es war kein Geräusch. Es war das Fehlen eines Geräusches.
Das Ticken hatte aufgehört. Warum?
Die Luft wurde jetzt heißer. Nein, das bildete sie sich definitiv nicht
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