Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
Vom Netzwerk:
Mann, es war wirklich verdammt stickig hier drin.
    Angeschossen. Gooch war angeschossen worden.
    Dieser verrückte Kerl. Er hätte ins Krankenhaus fahren sollen. Stattdessen versuchte er immer noch, sie zu retten.

57
    Gooch stand in der Auffahrt und sah sich auf dem Grundstück des Mannes um, den er gerade erschossen hatte. Es war ein altes Haus, älter als die anderen drum herum. Sah aus wie eine ehemalige Farm, die in den Vierzigern oder Fünfzigern verschluckt worden war von der Stadtentwicklung, als die umliegenden Häuser errichtet wurden. Ordentliches Grundstück, vielleicht ein oder zwei Hektar, und ein makelloser Rasen, wie man ihn nur hinkriegte, wenn man einen Haufen Chemikalien darauf verteilte. Hinten endete das Grundstück abrupt an einem Wald. Kein Klohäuschen zu sehen, kein nackter Fleck, kein gar nichts.
    Selbst wenn es eins gegeben hätte, würde er die Waffe ja nicht in einer Stunde ausgraben können. Er sah auf die Uhr. Auch nicht in dreiundvierzig Minuten.
    Der Schmerz an seiner Seite hatte zugenommen. Er verdrängte ihn. Dafür hatte er jetzt keine Zeit. Einen Augenblick lang wurde ihm ein wenig schwindelig, und er hatte keine Lust mehr, Entscheidungen zu treffen.
    Er konnte Sirenen hören. Bald würde ein Zeuge ihn den uniformierten Kollegen beschreiben – die mittlerweile sicherlich am Ort des Schusswechsels eingetroffen waren. »Oh, ja, und der Typ, der gerade den anderen Typ erschossen hat, ist in einem blauen Pick-up-Truck mit eingedrücktem Kotflügel davongefahren.«
    Gooch konnte noch etwas anderes hören. Es kam ihm sehr laut vor. Ein nasses Klatschen. Er brauchte einen Moment. Schließlich sah er hinunter. Das Blut tropfte von seinem Arm und fiel in fetten, schnellen Tropfen zu Boden.
    Na gut, dachte er. Dann mal weiter.
    Und da sah er es: Hinten zwischen den Bäumen blitzte Sonnenlicht auf Metall. Er brauchte eine Sekunde, um genauer hinzusehen, aber das Metall war ein verrostetes Blechdach. Eine Scheune!
    Er ging langsam über den großen Hof, er spürte die Sonne auf dem Kopf, und der Schmerz stach zwischen seine Rippen. Alles erschien ihm ungewöhnlich intensiv. Das Grundstück war wirklich endlos lang. Jedes Mal, wenn er atmete, nahm der Schmerz zu.
    Schneller, dachte er. Geh schneller.
    Er begann auf das Wäldchen zuzulaufen, und dann war er im kühlen Schatten. Vor ihm stand eine alte Scheune, das rostige Blechdach zur Seite gesackt, eine Wand halb in sich zusammengebrochen. Du riskierst dein Leben, wenn du da reingehst, dachte er. Dann musste er lachen.
    Die Tür war aus den Angeln gebrochen. Er trat hinein, sah sich um. Ein kleiner Hartriegel wuchs in der Mitte des Raumes, und Ranken ragten durch Lücken zwischen den Brettern der Wände.
    Könnte Meredith allen Ernstes die Mordwaffe hier aufbewahrt haben? Wenn ja, warum? Es wäre klüger gewesen, sie in einen Fluss zu schmeißen.
    Aber vielleicht wollte er ein Andenken oder so aufbewahren.
    Bloß gab es hier nicht viel. Eine alte Harke lehnte an einer Wand. Eine Schubkarre mit einem platten Reifen. Sonst nichts. Nur eine große, leere Scheune.
    Gooch ging am Rand entlang. Sie war keine zwölf Meter lang und keine sechs Meter breit.
    Es gab nichts zu finden. Keine Falltüren, keine alten Werkzeuge an irgendwelchen Haken, keinen Heuboden. Er spürte die Enttäuschung und Erschöpfung. Der Schmerz war schlimm genug. Aber das war nicht das Schlimmste daran, angeschossen zu werden. Er wusste aus Erfahrung, wenn man schwer verletzt war, servierte einem das Hirn alle möglichen Gründe, aufzugeben. Ich müsste ins Krankenhaus. Ich bin bloß
    einer allein. Was kann man denn noch von mir erwarten? Ich bin zu alt für diesen Mist. Wieso soll nicht jemand anders mal die Last tragen? Verdammt, mir ist einfach nicht danach. Das Hirn dachte sich tausend bescheuerte Gründe aus. Vielleicht sogar ein paar, die nicht ganz blöd waren.
    Er konnte nicht mehr richtig denken.
    Er versuchte, sich etwas vorzustellen. MeChelle Deakes. Denk an sie. Denk daran, was sie durchmacht. Er stellte sich ihr Gesicht vor, die vollen Lippen, die kleine Narbe am Kinn, ihre gebogenen Augenbrauen. Die Lider zugeklebt.
    Er ging nach draußen und wollte schon zurückschlurfen zum Haus. Aber da bemerkte er etwas. Zuerst sah es aus wie ein Haufen Feuerholz. Aber dann begriff er, dass es in Wirklichkeit ein kleines Holzhäuschen war, das zur Seite gekippt war.
    Er ging langsam näher. Dann besserte sich seine Laune.
    Bei Gott, das war tatsächlich ein Klohäuschen!

Weitere Kostenlose Bücher