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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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ein. Wer auch immer dort draußen war, wer auch immer gerade den Stillen Mann erschossen hatte – sie hatten die Klimaanlage ausgeschaltet. Plötzlich bemerkte sie, wie verdammt still es im Zimmer war. Nicht nur, dass Autohupen und Flugzeuge und Wind drehten, sogar das weiße Rauschen gab es nicht. Nicht mal das Summen einer Klimaanlage, das Rauschen der Luft, die aus einem Schacht strömte.
    So musste es im Inneren der großen Pyramide sein. In einer Grabkammer.
    Einer Grabkammer? Gräber waren was für Tote. Dazu war sie noch nicht bereit.
    Sie erhob sich und trat nach der Stahltür. Die rührte sich nicht, nicht mal einen Millimeter.
    »Hey!«, schrie sie. »Hey, warum ist die Klimaanlage aus? Mir wird verdammt heiß hier drin!«
    Sie tastete sich hinüber zum Tisch, griff nach dem Telefon. Es war tot. Nicht wie zuvor – mit einem leisen elektronischen Summen. Absolut tot. Als hätte jemand die Drähte durchgeschnitten.
    Man hatte sie abgeschnitten. Vollkommen abgeschnitten.
    Als wollte man sie einfach hier drin verrecken lassen.
    Sie holte tief Atem. Vielleicht war das nicht schlecht. Vielleicht war Gooch bereits unterwegs. Vielleicht hatte er bekommen, was er wollte, und verdünnisierte sich jetzt; er ließ sie hier einfach zurück, wo man sie finden und retten und befreien konnte. Egal.
    Wenn er vorgehabt hatte, sie umzulegen, warum hatte er das nicht getan, als er den Stillen Mann erschossen hatte?
    MeChelle setzte sich auf den Boden. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten, oder? Was immer geschehen würde, würde geschehen. Die Wände waren aus Ziegeln; die Tür aus Stahl. Man konnte sie nicht eintreten. Es gab keine Fenster, die man einschlagen konnte. Es hätte genauso gut eine Gefängniszelle sein können. Wenn sie ein paar Wochen Zeit oder Werkzeuge gehabt hätte, ja, dann hätte sie sich vielleicht hier heraus befreien können. Aber nicht in knapp zwanzig Minuten.
    Sie saß da, und es kam ihr lange vor, und sie ließ ihre Gedanken wandern. Aus irgendeinem Grund dachte sie immer wieder an Gooch. Den verrückten alten Gooch, der für sie eine Kugel kassiert hatte. Sie hätte nie geglaubt, dass er sie sonderlich mochte – und trotzdem war er unterwegs und riskierte für sie sein Leben. Warum? Aus Pflichtbewusstsein? Weil sie eine Kollegin war? Weil er die Action toll fand?
    Sie konnte ihn vor sich sehen. Die kalten blauen Augen, die immer durch einen hindurchzusehen schienen. Aber wenn er einen nicht ansah, was sah er dann?
    Sie fragte sich, wie sein Gesicht ausgesehen hatte, als sie vor vielen Jahren sein kleines Mädchen gefunden hatten. Als sie ihre Leiche aus dem Wald bargen. Hatte er damals auch schon durch jeden hindurchgeschaut? Hatte er geweint? Getobt?
    Sie wünschte sich, ihn besser kennengelernt zu haben, wünschte sich, die Gelegenheit bekommen zu haben, zu verstehen, was ihm durch den Kopf ging. Ein merkwürdiger Gedanke. Warum? Was kümmert mich das? Es war ja nicht so, als hätte er sie sonderlich gut behandelt.
    Sie war nicht sicher, wieso, aber plötzlich fühlte sie sich ganz rührig.
    Sie rollte sich zusammen und wollte weinen. Aber da roch sie etwas. Rauch.
    Augenblick mal. Vielleicht konnte sie jetzt, wo die Klimaanlage aus war, die Überreste des Feuers riechen, das sie in der Küche entfacht hatte.
    Nein, nein, es wurde stärker.
    Sie erhob sich abrupt, herausgerissen aus ihrer Starre, und schob den Tisch an die Wand. Sie hatte zuvor Luft aus der Klimaanlage strömen fühlen. Wo? Irgendwo musste es einen Schacht geben.
    Sie kletterte auf den Tisch, fuhr mit der Hand die Wand entlang. Nichts. Moment. Sie versuchte es an der Decke. Da war es. Ein Loch in der Abdeckung. Es war bloß ein nacktes Loch. Doppelt so groß wie ihre Faust, die Ränder aus schartigem Metall.
    Der Rauch nahm jetzt zu. Sie konnte ihn aus dem Rohr quellen spüren – heiße Luft, voller Rauch.
    Oh, nein. Oh, nein. Sie würden sie bei lebendigem Leib verbrennen.
    Bitte, Gooch, dachte sie. Bitte, Gooch, komm und rette mich.

59
    Gooch’ Sorgen nahmen zu, als er sich der Adresse näherte, wo wahrscheinlich das Gebäude stand, in dem MeChelle steckte. Grayson Street bestand aus einer Reihe Bürohäuser und billiger Wohnblöcke auf dem direkten Weg zum DeKalb-Peachtree-Flughafen.
    Er hatte eine Straße mit lauter kleinen Häusern erwartet. Aber hier – sah er überhaupt keine Häuser.
    Dann war er da. Das war die Adresse, die man ihm gegeben hatte. Aber 936 Grayson war kein Haus. Es waren mehrere

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