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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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Gooch.
    »Außerdem sind Sie ein Naturtalent. Sie wissen schon, wie man’s macht.«
    Tu ich das?, dachte Gooch. Und dann, nach einem Augenblick: Ja, wahrscheinlich schon.
    »Sie finden sicher allein raus«, sagte Fergus. »Ich muss um genau zwölf bereit für die Aufnahmesession sein.«
    Er drückte auf einen Knopf.
    »Test, eins, zwei.« Seine Stimme dröhnte aus den Lautsprechern in der Decke.
    Gooch und Floss erhoben sich und gingen zur Tür.
    »Zeit!«, sagte der Blinde.
    »Die Zeit ist … elf … Uhr … acht … und … fünfzig … vormittags.«

14
    MeChelles Puls raste, und sie spürte einen sauren Geschmack im Hals. Hatte dieses Schwein die ganze Zeit dagestanden und sie beobachtet? Wie nah war sie an diesem Menschen vorbeigegangen – es musste doch wohl ein Mann sein, oder? Wahrscheinlich nur ein paar Zentimeter. Sie bekam eine Gänsehaut.
    Und er hatte sich nie gerührt.
    Was hieß, dass er nicht in die Küche mitgekommen war. Was hieß, dass er nicht gesehen hatte, wie sie die Flasche zerbrochen hatte. Aber er musste es gehört haben. Vielleicht ging er davon aus, dass sie sie versehentlich hatte fallen lassen. Vielleicht auch nicht.
    MeChelle schob eine Hand in ihre Hosentasche und schloss ihre Finger um den Hals der abgebrochenen Ketchupflasche.
    Sie machte weiter mit den Hinweisen, fuhr mit der linken Hand über die sechs Gegenstände aus der Kiste. Wartete. Achtete darauf, dass sie ihr Gesicht von der Richtung desjenigen abwandte, der sie beobachtete. Von ihm. Es war ein Er, ganz sicher. Jetzt konnte sie das Deodorant deutlich riechen. Sie erkannte die Marke. Das hatte einer ihrer Freunde benutzt – wann? Damals an der Uni? Old Spice, das war’s.
    Sie versuchte dem Stillen Mann ein Gesicht zu geben. War er groß oder klein? Schwarz, weiß, mexikanisch, koreanisch? Dicke Brille, gut aussehend, fett, muskulös?
    Keine Ahnung.
    Sie atmete langsam, zwang ihren Puls herunter, bereitete sich vor. Sie tastete den weichen Pelz des Stoffhasens. Tat so, als müsste sie sich ganz darauf konzentrieren.
    Sie war jetzt im Vorteil. Der Stille Mann auf der anderen Seite des Zimmers wusste nicht, dass sie wusste, dass er da war.
    Sie wartete. Wartete auf ein weiteres verräterisches Quietschen, wenn er sein Gewicht verlagerte. Dann würde sie ihn erwischen.
    Es dauerte vielleicht zehn Minuten – Mann, war der geduldig – aber schließlich war es so weit. Das kleinste, fast unhörbare Quietschen. Vielleicht drei Meter entfernt? Vier? Nein, näher. Eher zwei. Aber nicht nah genug. Erstaunlich, wie genau sie Geräusche einschätzen konnte, jetzt, wo sie sich nicht auf die Sicht verlassen konnte.
    Sie positionierte sich neu, mit dem Rücken zum Tisch, spielte mit den Hinweisen herum.
    Genau dort …
    … drüben!
    Sie hechtete in Richtung des Geräusches, riss den abgebrochenen Flaschenhals aus ihrer Hosentasche. Die linke Hand vorgestreckt, die rechte auf Bauchhöhe angewinkelt. Sie hatte vor, mit der Linken zu ertasten, wo er war. Und sobald sie Kontakt hergestellt hatte, würde sie ihn mit der Flasche bearbeiten.
    Sie machte einen Schritt, zwei – warf sich mit aller Kraft auf ihn – mit allem Sein und ganzem Willen.
    Und dann traf es sie.
    Eine Mauer aus Schmerz.
    Ein Donnern explodierte in ihrem Körper. Lichtblitze direkt in ihr Herz. Eine 747 machte eine Notlandung auf ihrem Kopf. Ein Klavier fiel aus dem höchsten Stockwerk. Schmerz wie in einem Cartoon, die Augen flogen ihr aus den Höhlen, das Haar stand ihr vom Haupte ab. Gottes Strafe für ihre Sünden ereilte sie in reiner physikalischer Form.
    Sie stürzte zu Boden.
    Der Schmerz war so groß und explosiv, dass alle Gedanken verschwanden.
    Oder fast alle. In einem winzigen Eckchen ihres Hirns, das nicht vor Schmerzen zitterte – steckte dieser eine, flüchtige Gedanke:
    Okay. Das ist nicht so toll gelaufen.

15
    Und?«, fragte Gooch, als sie am Wagen waren.
    »Sir?«, fragte Detective Floss.
    Gooch breitete die Hände aus, sagte aber nichts.
    »Sie meinen, war er es, Sir? Ein blinder Homosexueller? Ich schätze, er ist nicht wirklich ein stehlender Vergewaltiger.«
    Gooch war der gleichen Meinung.
    »Aber kein besonders sympathischer Mann, Sir, oder?«
    Gooch stieg in den Wagen, ließ den Motor an.
    »Ich meine, man will doch eigentlich auf der Seite des Blinden sein, oder?«
    »Ach?«, fragte Gooch.
    Floss zwinkerte.
    »Na ja … Ich weiß nicht. Ich dachte bloß …« Die Stimme des Jungen versandete.
    »Du fandst mich unhöflich. Einen

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