Blindes Vertrauen
er, als er aufstand. »Ich gehe ins Bett.«
Barrie erbot sich, die Küche aufzuräumen, und wünschte ihm eine gute Nacht. Gray folgte ihm hinaus. Da sie nicht mehr als Verschwörer zusammensaÃen, stellte sie das Radio ab und genoà die Stille. Nachdem sie Ordnung in der Küche geschaffen hatte, machte sie das Licht aus und ging ins Wohnzimmer hinüber.
Gray hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt. Sein Kopf ruhte auf einer Armlehne, seine FüÃe auf der anderen. Im Dunkel, das durch den gelblichen Lichtschein der StraÃenbeleuchtung, der durch die Vorhänge fiel, nur wenig aufgehellt wurde, war seine Gestalt kaum zu erkennen.
In den ersten achtzehn Jahren ihres Lebens war Barrie von zwei Menschen ignoriert worden, die es mehr darauf anlegten, einander unglücklich zu machen, als für das Glück des Kindes zu sorgen, das sie in einem seltenen Augenblick ehelicher Harmonie gezeugt hatten. Vielleicht hatte sie deshalb einen Beruf gewählt, in dem sie ständig gehört und gesehen wurde. Fernsehjournalismus war nichts für Leute, die zurückgezogen leben wollten. Das ehemals vernachlässigte Kind stand jetzt häufig im Blickpunkt der Ãffentlichkeit. Barrie war getadelt und verspottet worden, aber sie wurde nur selten ignoriert.
AuÃer von Gray Bondurant. Es war kränkend, daà er sie so mühelos ignorieren konnte. Nicht sie persönlich, aber die Intimität, die sie miteinander geteilt hatten. Seit jenem Morgen, an
dem sie sich kennengelernt hatten, hatte es kaum ein persönliches Gespräch zwischen ihnen gegeben.
GewiÃ, dieser Morgen in Wyoming war eine chemische Reaktion, ein Unfall , bestimmt kein Akt der Liebe oder auch nur der Zuneigung gewesen. Sie erwartete nicht, daà Gray sie jedesmal mit FanfarenstöÃen begrüÃte, wenn sie hereinkam, aber wäre nicht zumindest eine gewisse Bestätigung fällig? Er tat so, als wäre nie etwas vorgefallen. Als er Gelegenheit gehabt hatte, zu ihr ins Motelbett zu kriechen, hatte er es nicht mal versucht. Das war die schlimmstmögliche Kränkung.
Heute abend wirkte er zurückhaltend und besonders mit sich selbst beschäftigt. Sie überlegte, ob es klug war, den Löwen in seiner Höhle aufzusuchen. Aber vorsichtiges Taktieren war nie ihr Stil gewesen.
Sie durchquerte das Wohnzimmer, baute sich direkt vor ihm auf und sagte ohne Vorrede: »Du kannst nicht einfach so tun, als wäre es nie passiert.«
»Warum nicht?« Immerhin stellte er sich nicht dumm. »Ich dachte, wir seien uns darüber einig, daà das Sex ohne Verpflichtungen war.«
»Ja, das stimmt.«
Gray zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: Damit ist der Fall wohl erledigt.
»Trotzdem â können wir nicht wenigstens zur Kenntnis nehmen, was passiert ist?« fragte sie.
»Welchen Zweck hätte das?«
»Nun, das würde⦠das würdeâ¦Â« Sie seufzte irritiert. »Ich weià es nicht. Ich finde nur, wir sollten es nicht einfach ignorieren.«
»Wegen deines Vaters?«
Hätte er plötzlich angefangen, mit Zungen zu reden, hätte sie nicht verblüffter sein können. »Was weiÃt du über ihn?«
»Daà er nie für deine Mutter oder dich dagewesen ist. Daà er ein notorischer Ehebrecher war und in der Satinbettwäsche einer Geliebten gestorben ist und daà deine Mutter sich aus Kummer über seinen Tod umgebracht hat.«
»Daily hat gründlich ausgepackt, was?« fragte sie erbittert. »Wie kommt er dazu, mein Privatleben mit dir zu diskutieren?«
»Ich habe ihm eine Pistole an den Kopf gehalten. Im übertragenen Sinn.«
»Warum so interessiert, Bondurant?«
»Warum so unwirsch?«
»Du reagierst auch immer unwirsch, wenn ich versuche, über deine Vergangenheit zu sprechen.«
Sie konnte seine Augen in der Dunkelheit nicht sehen, aber sie spürte, daà er sie nachdenklich und abschätzend betrachtete. »Du verkörperst einen Widerspruch, Barrie, und ich bin dafür ausgebildet, Widersprüche zu erkennen und zu analysieren, weil sie meistens sehr bedeutsam sind.«
»Okay, ich beiÃe an. In welcher Beziehung bin ich widersprüchlich?«
»Zum Beispiel reiÃt du um so mehr Witze, je kritischer die Situation wird. Männern gegenüber sendest du widersprüchliche Signale aus. In einem Augenblick wehrst du alles ab, was auch nur entfernt sexuell sein könnte,
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