Blindlings
Sie ließ den Kopf hängen und sah mich unglücklich an.
»Wahrscheinlich wirst du dann mit ihm kämpfen - auf ihn schießen. Du wirst versuchen, ihn umzubringen.« Ich ergriff ihren Arm. »Elin, ich bringe nicht wahllos Leute um – ich bin doch nicht psychopathisch. Ich verspreche dir, daß ich nur in Notwehr töten werde. Nur, wenn mein Leben in Gefahr ist.
Oder deins.« »Tut mir leid, Alan«, murmelte sie. »Aber dies ist mir alles ziemlich fremd. Ich habe mich nie mit so was auseinandersetzen müssen.«
Ich zeigte auf den Erdhügel. »Dort oben habe ich ein bißchen nachgedacht. Vielleicht schätze ich die Situation falsch ein - und beurteile die Leute und die Ereignisse nicht richtig.«
»Nein«, widersprach sie entschieden. »Du hast schwerwiegende Beweise gegen Cooke.«
»Und trotzdem findest du, daß ich ihm das Päckchen geben soll?«
»Was bedeutet dieses Ding mir schon?« rief sie erregt.
»Oder dir? Gib’s ihm, wenn es soweit ist. Und dann laß uns wieder unser eigenes Leben führen.« »Das würde ich verdammt gern tun, wenn man mich nur ließe.«
Ich blickte zur Sonne auf, die bereits hoch am Himmel stand.
»Komm, wir fahren los.«
Als wir uns der Weggabelung näherten, warf ich einen Blick auf Elins versteinertes Gesicht und seufzte. Ich verstand ihre Einstellung, sie entsprach der aller Isländer. Die Tage, als die Wikinger die Geißel Europas waren, liegen lange zurück. Die Inselbewohner haben seit Jahrhunderten in völliger Isolation gelebt, so daß ihnen die Angelegenheiten der übrigen Welt zumeist fremd sind und sie möglichst nicht damit behelligt werden wollen. Der einzige Kampf, den sie ausfechten mußten, war der Kampf um ihre Unabhängigkeit von Dänemark, und diese war mit friedlichen Verhandlungen erreicht worden.
Sicher, ihre Isolierung hat die Isländer keineswegs gehindert, Handelsbeziehungen mit der ganzen Welt anzuknüpfen, aber Geschäft ist Geschäft, und Krieg – ob offen oder geheim - ist etwas für verrückte Ausländer, aber nicht für nüchterne, vernünftige Isländer. Sie vertrauen völlig darauf, daß ihnen niemand ihr Land streitig machen will. Wer sollte das Land auch haben wollen, wenn selbst die Isländer mit ihrer jahrtausende alten Erfahrung Mühe haben, dem Boden ihren Lebensunterhalt abzugewinnen.
Alles in allem sind sie ein friedliches Volk, das von Kriegen verschont geblieben ist. Es überraschte mich nicht, daß Elin diese ganzen finsteren Geschichten, in die ich da verwickelt war, abstoßend und schmutzig fand. Ich selbst kam mir auch nicht gerade wie die Reinheit in Person vor.
3
Der Weg war geradezu miserabel, was das Fahren immer beschwerlicher machte, nachdem wir den Fluß verlassen hatten und am Vatnajökull hochkrochen. Ich fuhr im ersten Gang und schaltete den Vierradantrieb ein. Der Weg schlängelte sich zwischen steilen Felsen hoch und beschrieb dabei so haarsträubende Kurven, daß ich die unangenehme Vorstellung hatte, demnächst in mein eigenes Heck hineinzufahren. Es war kaum Platz für einen Wagen da, und ich schlich förmlich um jede Kurve, wobei ich jeweils ein Stoßgebet zum Himmel schickte, daß mir kein anderes Fahrzeug entgegenkäme.
Einmal gerieten wir seitwärts in einen Geröllrutsch hinein, und ich spürte, wie die Hinterräder des Land-Rovers anfingen durchzudrehen. Ich gab Gas und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Die Vorderräder blieben auf festem Grund und zogen uns in Sicherheit. Als gleich darauf eine einigermaßen gerade Strecke kam, hielt ich an. Meine Hände waren schweißnaß und zitterten. »Verdammt knifflige Fahrerei«, fluchte ich vor mich hin. »Soll ich dich mal eine Weile ablösen?« fragte Elin. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mit deiner verletzten Schulter. Es ist auch nicht das Fahren. Nur die Vorstellung, daß uns hinter jeder Biegung jemand entgegenkommen kann.« Ich beugte mich über den Rand des Abgrunds und schaute hinunter. »Einer von uns müßte dann wenden, und das geht hier nicht.« Dabei war das noch das Beste, was passieren konnte; an das Schlimmste wagte ich gar nicht erst zu denken.
Kein Wunder, daß dies hier eine Einbahnstrecke war.
»Ich könnte vorangehen«, schlug Elin vor, »und dich an den Biegungen weiterwinken.«
»Das würde viel zuviel Zeit in Anspruch nehmen«, wandte ich ein. »Und wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
Sie deutete nach unten. »Besser, als im Abgrund zu landen.
Wir kommen sowieso nur im Schrittempo voran. Ich könnte mich auf
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