Blindlings
ich Jack Case mißtraut und ihn bewußtlos in der Nähe von Kennikins Haus zurückgelassen hatte. Vielleicht hatte er doch mehr Vertrauen verdient, denn ich machte mir keine Illusionen darüber, wer ihn umgebracht hatte. Kennikin war im Besitz des sgian dubh gewesen und hatte auch den Volkswagen gehabt. Wahrscheinlich war er auf der Suche nach mir über Case gestolpert.
Aber warum war er umgebracht worden? »Das ist scheußlich«, empörte sich Elin. »Wieder einer ermordet.« Aus ihrer Stimme klang Verzweiflung. »Ich habe ihn nicht umgebracht«, verteidigte ich mich. Sie nahm die Zeitung.
»Woher weiß die Polizei von dem Volvo?«
»Routine«, erklärte ich. »Sobald Case identifiziert worden war, hat sich die Polizei erkundigt, was er seit seiner Ankunft auf Island getrieben hat. Natürlich ist man sofort darauf gestoßen, daß er sich einen Wagen geliehen hat – und zwar nicht den VW, in dem er gefunden wurde.«
Ich war froh, daß der Volvo in Valtyrs Garage in Vik gut aufgehoben war. »Wann kehrt Valtyr zurück?« fragte ich.
»Morgen«, antwortete Elin.
Mir war, als habe sich alles gegen mich verschworen. Lee Nordlinger hatte mir ein auf vierundzwanzig Stunden befristetes Ultimatum gestellt. Es war abwegig, sich der Hoffnung hinzugeben, Valtyr würde nach seiner Rückkehr nach Vik nicht sofort den Volvo bemerken. Vielleicht ging er sogar noch in Reykjavik zur Polizei, sofern er überzeugt war, daß es sich um den Wagen handelte, der gesucht wurde. Und wenn die Polizei Sigurlin zu fassen bekam, dann war der Bart mit Sicherheit ab. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie angesichts einer vor ihrem Haus geparkten Leiche den Mund halten würde. Elin berührte meinen Arm. »Was willst du jetzt tun?« »Keine Ahnung«, stöhnte ich. »Im Augenblick möchte ich mich einfach hinsetzen und nachdenken.« Wieder einmal begann ich, die einzelnen Fragmente zusammenzusetzen, und allmählich konnte ich sie zu einer Art von Bild zusammenfügen. Es erklärte auch Kennikins plötzlichen Sinneswandel, nachdem er mich in seine Gewalt gebracht hatte. Zuerst war er vor allem scharf drauf gewesen, mir das Gerät abzunehmen, und hatte sich mit sadistischem Entzücken auf die Ausführung der Operation gefreut. Aber urplötzlich hatte er alles Interesse an dem Gerät verloren und verkündet, mein Tod sei wichtiger – und das, kurz nachdem er einen Telefonanruf erhalten hatte.
Ich ließ die Ereignisse chronologisch Revue passieren. In Geysir hatte ich Case von meinem Verdacht gegen Cooke erzählt. Case hatte sich bereit erklärt, diese Nachricht an Taggart weiterzugeben. Ganz gleich, was geschah, die Folge davon mußte eine gründliche Durchleuchtung Cookes sein.
Aber ich war Zeuge gewesen, wie Cooke sich, kurz bevor Kennikin mich erwischte, mit Case unterhalten hatte.
Angenommen, Case hatte in irgendeiner Form Cookes Verdacht erregt? Cooke war ein gerissener Bursche, gewohnt, Menschen zu manipulieren, und vielleicht hatte Case unbewußt seine Karten aufgedeckt. Was hätte Cooke in diesem Fall getan? Er hätte mit Kennikin Verbindung aufgenommen, um herauszukriegen, ob ich erwischt worden war. Er würde darauf bestehen, daß seine Vertrauensstellung als Taggarts rechte Hand nicht erschüttert wurde, koste es, was es wolle. Das war wichtiger als das Gerät. Vermutlich hatte er gesagt: »Bringen Sie den Dreckskerl um!« Und das war wohl der Grund für Kennikins veränderte Haltung gewesen. Genauso wichtig war es, Jack Case umzubringen, bevor er mit Taggart reden konnte!
Ich hatte Cooke geradewegs in die Hände gespielt. Ich hatte Case zurückgelassen, so daß Kennikin ihn finden konnte, und der hatte ihn mit meinem Messer erstochen. Kennikin hatte herausgefunden, woher der VW stammte, und nach mir Ausschau gehalten, und danach hatte er Cases Leiche in ihm zurückgelassen. Terroristentaktik. Alles paßte zusammen, abgesehen von einer unerklärlichen Tatsache, die mir Kopfzerbrechen machte. Warum hatte mich Jack Case im Stich gelassen, als Kennikins Bande sich in Geysir an mich heranmachte? Er hatte keinen Finger gerührt, um mir zu helfen.
Obwohl er bewaffnet gewesen war, hatte er nicht einen Schuß zu meiner Verteidigung abgegeben. Ich kannte Jack, und das sah ihm gar nicht ähnlich. Dies und seine anscheinende Busenfreundschaft mit Cooke waren der Grund für mein Mißtrauen gegen ihn gewesen. Dieser Tatbestand beunruhigte mich sehr. Doch das gehörte jetzt der Vergangenheit an, und ich hatte an die Zukunft zu denken und
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