Blindwütig: Roman
sagte sie. »Und ich habe heute Morgen, als wir im Haus von Marty und Celine waren, mehrere Stunden auf dieser Website verbracht.«
»So hat er uns bestimmt nicht aufgespürt«, beruhigte ich sie. »Über deine E-Mail-Adresse findet man wahrscheinlich das Haus, wo du wohnst, aber nicht den Standort eines Laptops, mit dem du gerade irgendwo surfst.« Ich sah Vivian an. »Wie lautet deine Mail-Adresse überhaupt?«
»Ich hasse es, wenn Leute sich im Internet anonym gebärden«, antwortete Vivian. »Deshalb habe ich viv Punkt norby genommen.«
»Das würde ausreichen. Wenn er weiß, dass du regelmäßig auf Milo aufpasst oder wenn er es herausbekommen kann, findet er deine Anschrift im Telefonbuch.«
»Lass bloß die Finger von dieser Website!«, riet Penny eindringlich.
»Ich habe keine Angst vor ihm«, erklärte Vivian.
»Solltest du aber«, sagte ich.
»Der ist bloß ein eingebildeter Pseudointellektueller.«
»Hoffen wir, dass er nur pseudo ist. Die echten Intellektuellen versuchen schon seit hundert Jahren, alles durcheinanderzubringen, und haben inzwischen allerhand Fortschritte dabei gemacht.«
Beim Essen wollte Vivian alles erfahren, was Waxx uns angetan hatte und was wir als Nächstes unternehmen wollten.
Da wir gedacht hatten, je weniger sie wüsste, desto weniger würde sie in Gefahr sein, hatten wir vorgehabt, Waxx nicht einmal zu erwähnen. Nachdem sie nun jedoch instinktiv darauf gekommen war, dass die Zerstörung unseres Hauses kein Unfall sein konnte und dass der finstere Literaturkritiker etwas damit zu tun haben musste, hatte die Lage sich ins Gegenteil verkehrt. Weniger zu wissen bedeutete jetzt mehr Gefahr für sie, und je mehr sie wusste, desto vorsichtiger würde sie sich verhalten.
Als ich zu dem brutalen Mord an den Familien von John Clitherow und Thomas Landulf kam, geriet ich ins Stocken. Ich überlegte, wie ich Vivian verklausuliert ins Bild setzen konnte, ohne Milo einen Schrecken einzujagen.
Mitten in die entstandene Stille hinein sagte Milo: »Manchmal vergesst ihr, dass ich ein Kind bin, aber auch kein Kind mehr. Ich weiß durchaus, welche Sorte von Irren es auf der Welt gibt, und ich weiß, was für irre Sachen sie anstellen. Zum Beispiel schneiden sie gern anderen Leuten den Kopf ab und stopfen ihnen die abgetrennten Genitalien in den Mund.«
Verdutzt saßen Penny, Vivian und ich da und starrten Milo an. Unsere Gabeln schwebten reglos in der Mitte zwischen Teller und Mund. Selbst Lassie, für die unsere Gastgeberin inzwischen ein Stück weit weg einen Stuhl hingestellt hatte, betrachtete ihren jungen Herrn mit befremdeter Miene.
Ich sah Penny an, und als diese die Achseln zuckte, sagte ich: »Verstanden, Milo.« Daraufhin hielt ich keines der gruseligen Details zurück.
Der Begeisterung nach zu urteilen, mit der Milo sein Essen verzehrte - am Ende verputzte er ein Stück Cremetorte, so groß wie sein Kopf -, erschütterten ihn die abscheulichen Verbrechen von Waxx weniger als mich.
Es hatte allerdings einen Grund, weshalb ich anders reagierte als Milo. Schließlich hatte meine Vergangenheit schärfere Klauen als seine, und selbst nach so vielen friedlichen und glücklichen Jahren war die Erinnerung in der Lage, mich von neuem zu verwunden.
34
Normalerweise benutzte Vivian einen sportlichen Kleinwagen, aber sie sorgte dafür, dass der Geländewagen ihres Mannes in gutem Zustand blieb und fuhr ihn oft genug, um ihn in Schuss zu halten.
Weil sie nicht nur mit einem Cop verheiratet gewesen, sondern auch die Tochter eines Polizisten war, dachte ich, sie würde uns drängen, trotz mangelnder Beweise zur Polizei zu gehen, aber das tat sie nicht.
Als sie mir in der Garage den Schlüssel des Geländewagens überreichte, sagte sie: »An der Sache ist was faul. Das ist euch doch klar, oder?«
»Die Sache ist oberfaul, keine Frage«, sagte ich. »Aber was meinst du damit genau?«
»Einerseits ist dieser Spinner unheimlich clever und achtet darauf, keine Beweise für seine Taten zu hinterlassen, aber andererseits geht er extreme Risiken ein und verhält sich, als wäre er unangreifbar und würde das auch für immer bleiben.«
»Vielleicht ist das bloß die Arroganz eines selbstverliebten Psychopathen«, sagte Penny.
Vivian schüttelte den Kopf. »Ich rieche irgendetwas anderes, und das ist ein Gestank, den ich schon mal gerochen habe, ich weiß momentan bloß nicht mehr, wann und wo. Vielleicht ist es daher besser, nicht zur Polizei zu gehen, bis ihr einen Stapel Beweise
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