Blindwütig: Roman
erklären wollte, was wir durchgemacht hatten, wäre jede Story, die ich ihm aufgetischt hätte, äußerst unvollständig, wenn nicht gar gelogen gewesen. Einen
Priester wollte ich jedoch nur ungern anlügen, da ich laut meiner Berechnung bereits 704 Jahre im Fegefeuer auf dem Kerbholz hatte.
Als alles Gepäck sich im Kofferraum befand, entschied ich mich dagegen, mein Glück auf die Probe zu stellen, indem ich wie vorher das Wasser auf dem Sakristeiboden auftupfte. Ich zog einfach die Tür zu, und wir fuhren davon.
Unser Ziel war der Boom-Bunker, wie wir das Domizil von Grimbald und Clotilda nannten, und unser Weg führte uns an der Beddlington-Promenade vorbei, dem dunklen, verfallenden Einkaufszentrum, wo wir unseren alten Wagen abgestellt hatten.
Als wir vorbeifuhren, war das Fahrzeug unter den kahlen Ästen der toten Bäume gut zu sehen. Es wurde von den Scheinwerfern eines schwarzen Cadillac Escalade angestrahlt, der davor parkte.
»Hast du mir nicht erzählt, Waxx fährt einen schwarzen Caddy?«, begann Penny.
»Habe ich.«
»Mach ihn bloß nicht auf uns aufmerksam. Fahr nicht langsamer!«
»Ich fahre doch gar nicht langsamer.«
»Und auch nicht schneller fahren!«
»In Ordnung.«
»Pass auf! Keine Kollision!«
»Was ist mit dem roten Honda da?«
»Mit welchem roten Honda?«
»Dem auf der Fahrspur nebenan.«
»Was soll damit sein?«
»Darf ich mit dem kollidieren?«
»Treib mich nicht in den Wahnsinn, Cubby.«
»Es ist schwerer, keine Frohnatur zu sein, als ich’s mir vorgestellt hätte.«
»Meinst du, er hat uns gesehen?«, überlegte Penny sorgenvoll.
»Unmöglich. Er weiß doch gar nicht, was für einen Wagen wir fahren. Vom Regen ganz zu schweigen. Außerdem ist viel Verkehr. Wir schwimmen mit dem Strom.«
Ein Telefon läutete. Es war nicht das Wegwerfhandy, sondern mein altes.
Da mir sofort John Clitherow in den Sinn kam, nahm ich eine Hand vom Steuer, wobei ich eine Massenkarambolage mit so vielen Fahrzeugen riskierte, dass ich einen Weltrekord aufgestellt hätte. Damit fummelte ich das Telefon aus meinem Regenmantel und drückte auf die grüne Taste.
»Schmierfink«, sagte Shearman Waxx.
»Aufgeplusterter Snob«, hörte ich mich erwidern.
»Wer spricht da?«, fragte er befremdet.
»Wer soll das schon sein, Sie zurückgebliebener Pseudointellektueller!«
»Sie halten sich wohl für witzig, was?«
»Zumindest bin ich eine Frohnatur.«
»Euren Wagen habe ich schon gefunden. Bald werde ich euch auch finden.«
»Treffen wir uns doch morgen zum Mittagessen!«
»Und dann werde ich Ihrem Söhnchen das schlagende Herz aus dem Leib schneiden.«
Darauf fiel mir keine schmissige Entgegnung ein.
»Dieses Herz werde ich Ihrer Frau füttern. Tropfend.«
»Schlechter Stil«, sagte ich matt.
»Dann werde ich auch ihr das Herz aus dem Leib schneiden, während Sie zusehen.«
Wieder ermangelte es mir an einem passenden Bonmot.
»Und das füttere ich Ihnen.«
Er legte auf.
Ich steckte das Telefon in die Manteltasche. Dann nahm ich wieder beide Hände ans Steuer und fuhr vorsichtig weiter, froh, mich an etwas festhalten zu können, was meine Hände davon abhielt, unbeherrscht zu zittern. Nach einer kleinen Weile warf ich einen Seitenblick auf Penny.
Soweit ich mich erinnere, hatte ich noch nie gesehen, dass das Weiß ihrer Augen sich so weit rund um ihre wunderschöne Iris ausbreitete.
»Eingebildeter Snob?«, wiederholte sie. »War das etwa er ?«
»Es hat sich ganz so angehört.«
»Er hat uns gesehen. Er kennt den Wagen, den wir jetzt fahren.«
»Nein. Der Zeitpunkt war rein zufällig.«
»Wieso hat er dich dann angerufen?«
»Um den üblichen Unfug zu treiben, den man von einem psychopathischen Mörder zu erwarten hat.«
»Welchen Unfug?«
»Du weißt schon - es ging um das ganze gruselige Zeug, das er uns antun will.«
Sie zögerte einen Augenblick. »Was für gruseliges Zeug?«, fragte sie dann.
Ich verdrehte die Augen, um sie auf Milo aufmerksam zu machen. »Dumbo, Despereaux, Pistachio«, sagte ich dabei.
»Geht das schon wieder los?«, meldete sich Milo.
»Na schön, na schön. Er sagt, er wird dir das Herz aus dem Leib schneiden und es deiner Mutter füttern. Seid ihr zwei jetzt zufrieden, dass ihr das wisst? Hm?«
»Mach dir keine Sorgen, Milo«, sagte Penny. »Ich werde mich standhaft weigern, es zu essen.«
»Was hat er sonst noch gesagt?«, wollte Milo wissen.
»Anschließend wird er deiner Mutter das Herz herausschneiden und mich damit
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