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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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wirklich genau, wie Tomkins’ System funktionierte).
    Tomkins glaubte, dass Gesichter – auch die Gesichter von Pferden – wichtige Hinweise auf Gefühle und Motivationen zuließen.
     Wenn er sich die polizeilichen Fahndungsplakate auf dem Postamt angesehen habe, so erzählt man sich, dann habe ihm ein Blick
     auf die Fotos gereicht, um sagen zu können, welche Verbrechen die flüchtigen Kriminellen begangen hätten. »Wenn er sich die
     Fernsehshow
To Tell the Truth
ansah, dann wusste er immer auf Anhieb, |195| wer der Lügner war« erinnert sich sein Sohn Mark. »Einmal schrieb er an den Produzenten, um ihm zu sagen, dass seine Show
     zu leicht sei, und der Mann lud ihn nach New York ein, um sich seine Erkenntnisse erklären zu lassen.« Virginia Demos, Professorin
     für Psychologie an der Universität Harvard, erinnert sich an lange Gespräche mit Tomkins während des Nominierungsparteitags
     der Demokratischen Partei im Jahr 1988. »Wir telefonierten miteinander, als gerade im Fernsehen die Berichterstattung lief.
     Jesse Jackson und Michael Dukakis diskutierten, und Tomkins hatte den Ton abgestellt. Er las nur die Mimik der beiden und
     sagte vorher, was passieren würde. Es war erstaunlich.«
    Paul Ekman lernte Tomkins in den frühen sechziger Jahren kennen. Ekman hatte damals gerade seinen Abschluss als Psychologe
     in der Tasche und interessierte sich für menschliche Physiognomie. Vor allem interessierte ihn, ob es eine Systematik oder
     eine Art Grammatik der Gesichtsausdrücke gab. Anders als die meisten seiner Kollegen glaubte Silvan Tomkins, dass es eine
     solche Grammatik geben müsse. Die gängige Forschungsmeinung lautete damals, dass Gesichtsausdrücke erlernt seien, dass wir
     also je nach Kultur eine andere Mimik haben. Ekman reiste nach Japan, Brasilien und Argentinien und spürte sogar Stämme in
     Urwäldern auf, um herauszufinden, ob das stimmte. Im Gepäck hatte er Fotos von Männern und Frauen mit verschiedenen Gesichtsausdrücken.
     Zu seiner Überraschung konnten die befragten Personen genau sagen, was die jeweiligen Gesichter zum Ausdruck brachten, ganz
     egal wohin er ging. Damit hatte er bewiesen, dass Tomkins Recht hatte.
    Wenig später stattete Tomkins Ekman einen Besuch in dessen Labor in San Francisco ab. Ekman hatte Filme aufgestöbert, die
     der Virologe Carleton Gajdusek in den Urwäldern Papua Neuguineas gedreht hatte. Einige der Aufnahmen zeigten den Stamm der
     South Fore, ein friedliebendes und freundliches Volk. Der Rest befasste sich mit den Kukukuku, einem feindseligen Stamm, der
     ein homosexuelles Ritual pflegte, in dem Jungen vor der Geschlechtsreife |196| den Stammesältesten als Kurtisane dienen mussten. Sechs Monate lang hatten Ekman und sein Kollege Wallace Friesen das Material
     durchgearbeitet. Sie hatten die Nahaufnahmen der Stammesmitglieder herausgesucht und die Gesichtsausdrücke der beiden Gruppen
     miteinander verglichen.
    Ekman führte Tomkins den Film vor, ohne ihm vorher Hintergrundinformationen über die beiden Stämme zu geben. Alles, was Aufschluss
     über den Kontext gegeben hätte, hatte er herausgeschnitten. Tomkins verfolgte den Film konzentriert. Am Ende ging er nach
     vorn an die Leinwand und zeigte auf die Gesichter der South Fore. »Das sind nette, freundliche Menschen, sehr friedfertig,
     sehr entgegenkommend.« Dann zeigte er auf die Gesichter der Kukukuku. »Diese Gruppe ist gewalttätig, und es weißt vieles auf
     Homosexualität hin.« Bis heute ist Ekman darüber erstaunt, wie viel Tomkins den Gesichtern entnehmen konnte. »Ich fragte ihn
     erstaunt: ›Silvan, wie um Gottes Willen kommen Sie darauf?‹« erinnert er sich. »Er ging an die Leinwand, und während wir den
     Film in Zeitlupe zurückspulten, deutete er auf bestimmte Falten und Wülste in den Gesichtern, um zu erläutern, wie er zu seinem
     Urteil kam. In diesem Moment war mir klar: ›Ich muss das Gesicht entschlüsseln.‹ Es war eine Fundgrube an Informationen, und
     niemand hatte sich bisher darum gekümmert. Dieser Mann konnte es sehen, und wenn er es konnte, dann konnten es vermutlich
     auch andere.«
    An Ort und Stelle beschlossen Ekman und Friesen, eine Taxonomie des menschlichen Gesichts zu entwickeln. Sie studierten medizinische
     Fachliteratur über die Gesichtsmuskulatur und identifizierten jede einzelne Muskelbewegung, die ein Gesicht machen konnte.
     Im Ganzen entdeckten sie 43 solcher Bewegungen, die Ekman und Friesen »Aktionseinheiten« nannten. Tagelang

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