Blitz: Die Chroniken von Hara 2
Erdhügel.
Als ich den nächsten Schritt mache, bebt der Boden unter meinen Füßen und sackt weg. Ich habe den Eindruck, über einen Teppich zu gehen, der zwischen den Bäumen gespannt ist und unter meinem Gewicht nachgibt. Am nächtlichen Himmel stehen weder Sterne noch der Mond. Aus dem Nebel steigt ein fahles, im Takt meines Herzens pulsierendes Licht auf.
Nach zwei weiteren Schritten schmatzt es unter mir widerlich. Noch ehe ich überhaupt Furcht empfinden kann, bin ich bereits bis zu den Schenkeln eingebrochen. Ein betäubender Gestank schlägt mir in die Nase, in dem sich die Gerüche von altem Gras, abgestandenem Wasser, Moder und verfaulten Eiern mischen.
Dummkopf! Idiot! Narr!
Hast du jetzt auch noch dein letztes bisschen Verstand verloren, dass du einen Sumpf nicht mehr erkennst?!
Ich kämpfe gegen meinen Untergang an, aber das Moor erweist sich als sehr stark und zieht mich immer weiter in die Tiefe. Vor meinen Augen hängt dichter Nebel. Ich rudere mit den Armen, versuche, einen Halt zu finden. Schließlich ertasten meine Finger einen Stein, an den sie sich klammern.
Es kostet mich enorme Kräfte, mich langsam, Zoll für Zoll, aus dem gefräßigen Morast herauszukämpfen. Irgendwann stößt das Moor einen enttäuschten Seufzer aus und gibt mich frei, wobei es mich zum Abschied noch einmal mit seinem stinkigen Atem einhüllt.
Entkräftet bleibe ich so lange auf den Steinen liegen, bis ich merke, dass ich völlig durchgefroren bin. Ich rapple mich hoch und entdecke ein Yard vor mir einen riesigen steinernen Treppenbogen, der sich über den Nebel erhebt. Jede Seite hat zwölf Stufen, in der Mitte liegt eine quadratische Fläche. Auf ihr ragt ein viereckiger Turm gut dreißig Yard in die Höhe. Ich habe zwar keine Ahnung, wie lange er schon hier im Sumpf steht, aber er scheint so alt wie diese Welt zu sein.
Dann bemerke ich das, was mir eigentlich gleich hätte auffallen müssen: eine Wegblüte. Einer der sieben steinernen Hauer ist abgebrochen. Ein plötzlich aufkommender eisiger Wind verscheucht den Nebel, sodass kleine, schneebedeckte Inseln, abgestorbene Birken und Espen sowie Flecken schwarzen, trüben Wassers, in dem immer wieder Blasen platzen, freigelegt werden.
Rasch wird es hell. Vierzig Yard hinter einem Baum, der aus dem Sumpf herausragt und an einen Dreizack erinnert, liegt eine Insel von länglicher Form. Sie ist mit dem Schilf vom letzten Jahr bewachsen, das inzwischen grau geworden ist.
Auf ihr wimmelt es von Soldaten. Trotz der Entfernung erkenne ich jedes einzelne Gesicht ganz genau. Auch ich bin unter ihnen. Ich trage ein Kettenhemd, habe den Bogen und einen halb leeren Köcher dabei, eine Kopfwunde ist bereits mit einem Verband umwickelt, mich schmückt das Abzeichen eines Offiziers.
In der Luft tanzen Ascheflocken, die bitter und unangenehm riechen. Über der schwarzen, verbrannten Ebene hängen tiefe Wolken. Der Ort scheint mir keinen Deut besser als der Sumpf. Ich halte einen mächtigen Bogen mit großem Zuggewicht bereit, der Pfeil mit einer Spitze aus einem seltsamen Material ist bereits eingelegt.
»Da ist sie!«, schreit die Verdammte, die plötzlich hinter mir aufgetaucht ist. »Schieß!«
Der Pfeil löst sich von der Sehne, zieht einen violetten Schweif hinter sich her und fliegt über das Wermutfeld dahin. Die Spitze leuchtet wie ein nördlicher Stern. Das Ziel reitet auf mich zu: eine Frau, deren Gesicht von einer silbernen Maske verborgen wird. Der Pfeil trifft sie mitten ins Herz. Sie kippt langsam zur Seite, fünf Schritt vor mir rutscht sie vom Pferd. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ich die Verdammte Blatter getötet habe. Jetzt liegt sie mit ausgestreckten Armen auf dem Boden. Das Haar, zu einem Zopf zusammengebunden, wirkt wie lebendes Silber, das prachtvolle schwarze Reitkleid bedeckt ihr Blut.
Von Neugier gepeinigt hocke ich mich neben sie und nehme ihr die Maske ab, die aus dem kostbaren Grohaner Silber gefertigt ist, das fast so weiß wie Porzellan schimmert.
Ich blicke in die toten, gläsernen Augen Lahens.
Panik nimmt mir den Atem. Ich springe auf …
Aber nein, ich befinde mich ja in einem gemütlichen Zimmer. Im ersten Stock der Schenke.
Mein Augenstern schläft, die Nase ins Kissen gedrückt und völlig ahnungslos, welche Albträume mich heute Nacht heimsuchen. Mein Herz hämmert immer noch entsetzt. Fast lautlos verfluche ich das Reich der Tiefe.
Mit einem Mal höre ich ein leises Hüsteln, als wollte mich jemand warnen. Auf
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