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Blitz: Die Chroniken von Hara 2

Blitz: Die Chroniken von Hara 2

Titel: Blitz: Die Chroniken von Hara 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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würde doch bestimmt gleich zurückkehren, oder? Und ihm wieder wirre Träume aufzwingen. Wie lange er nicht mehr Herr seiner selbst gewesen war, vermochte er nicht zu sagen. Deshalb wollte er seinen neuen Zustand lieber nicht vorschnell genießen, dazu kannte er die schrecklichen Angewohnheiten dieser Herrin nur zu gut.
    Minute um Minute verstrich, doch die Herrin schwieg beharrlich. Kein Zweifel, sie schlief wirklich tief und fest. Und wecken würde er sie bestimmt nicht. Er stand vorsichtig auf, kratzte sich den Schenkel und ging zum Tisch. In seinem Magen knurrte, blubberte und rumpelte es, aber es gab nichts, mit dem er diese Geräusche hätte zum Verstummen bringen können.
    Deshalb beschloss er, sich etwas zu essen zu besorgen. Immerhin hatte ihm die Herrin ja nicht verboten, die Schenke zu verlassen. Was wiederum bedeutete, dass sie ihn nicht ausschimpfen oder bestrafen würde. Er wollte doch nur seinen Hunger stillen! Danach käme er sofort zurück. Da würde die Herrin bestimmt noch schlafen.
    So leise wie möglich sah er sich nach seinen dreckigen Hosen und dem Hemd um, entdeckte sie aber nirgends. Deshalb nahm er vom Stuhl Kleidung, die er nicht kannte. Hosen, ein Hemd und eine Jacke. Sie waren neu, sauber und passten ihm. Als er die Tür schon fast erreicht hatte, bemerkte er einen kleinen Spiegel an der Wand.
    Erstaunt betrachtete er das Bild des ihm unbekannten Mannes. Das war nicht sein Gesicht. Die schmalen Lippen, die zusammengekniffenen Augen, die scharfe Nase, die breiten Schultern, die glatte Haut – all das sah er zum ersten Mal. Wäre ihm nicht Speichel aus dem Mundwinkel getropft, er hätte sich nie im Leben wiedererkannt. Und sich wohl noch lange den Kopf darüber zerbrochen, wer ihm da eigentlich entgegenblickte. So aber reimte er sich zusammen, wen er vor sich hatte. Als ihm ein Schluchzen entfuhr, biss er sich sogleich auf die Zunge. Er wollte doch kein Geräusch machen! Sonst würde die Herrin ihn gleich wieder bestrafen.
    Er stahl sich leise aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und schlich auf Zehenspitzen die knarzende Treppe hinunter. In letzter Sekunde fiel ihm ein, dass er ja überhaupt kein Geld hatte. Doch ohne Geld würde ihm niemand etwas zu essen geben.
    Also musste er noch einmal zurück.
    Eine Tasche am Kopfende des Bettes barg einen stattlichen Vorrat an Soren. Pork grabschte begeistert in die Münzen hinein und malte sich bereits aus, wie viel Naschereien und Spielzeug er sich dafür kaufen konnte. Aber was würde die Herrin sagen, wenn sie entdeckte, dass Geld fehlte?
    Nachdem er diese Frage mehrmals in seinem Kopf gedreht und gewendet hatte, kam er zu dem Schluss, dass die Herrin die Soren bestimmt nicht gezählt hatte, dazu waren es einfach zu viele. Wenn ein oder zwei fehlten, fiele ihr das also gar nicht auf. Deshalb steckte er sich fünf Münzen in die Hosentaschen. Dann aber fuhr ihm ein weiterer Gedanke durch den Sinn: Er sollte die Tasche besser nicht unbeaufsichtigt lassen. Böse Menschen gab es immer und überall. Und die würden das Geld mit Sicherheit stibitzen, während er unterwegs war. Auch dann drohte ihm Strafe … Also nahm er die Tasche lieber mit.
    Sie stellte sich als recht schwer heraus, der Trageriemen schnitt ihm tief ins Fleisch.
    Bis auf einen Diener, der hinter dem Tresen schlief, war unten in der Schenke noch alles leer. Pork huschte auf die Straße hinaus. Die Sonne war gerade eben erst hinterm Horizont hervorgekrochen, die Fackeln an den Wänden brannten nach wie vor, um die letzten Reste der Dunkelheit zu vertreiben. Noch war es morgendlich kühl, doch der Himmel versprach einen heißen Tag.
    Die wenigen Menschen, die um diese Zeit schon auf den Beinen waren, hatten sich fast alle vor einem schmalen, dafür aber sehr hohen Tor versammelt, das in den Fels eingelassen war, der an die Befestigungsanlagen anschloss. Die Wach- und Wehrtürme mit ihren unzähligen Schießscharten ragten bedrohlich über der Stadt auf. Sie schützten das Tor, das in die Hohe Stadt führte.
    Gerade erklang auf einem der Türme ein Horn, worauf sich die schmalen Flügel des Tores öffneten. In die Menschen – großteils Handwerker, aber auch ein paar Bauern mit ihren Karren und Kaufleute – kam Bewegung. Gebannt verfolgte Pork, wie das über Nacht verschlossene Tor geöffnet, wie das geschmiedete Gitter an jaulenden Ketten hochgezogen wurde. Er schwankte: Sollte er durch das Tor gehen oder sich sein Essen woanders besorgen? Im Grunde lockte ihn das

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