Blitze des Bösen
jetzt Mamas braver, kleiner Sohn. Sie wollen dir nicht
weh tun. Sie wollen dir nur helfen.«
Aber Richard Kraven wußte, daß sie ihm nicht helfen wollten. Sie wollten ihm wehtun, wie beim letzten Mal, genau wie
ihm auch sein Vater wehgetan hatte. Ihre Hände griffen nach
ihm, und er versuchte, sich an seiner Mutter festzuklammern.
Doch die befreite sich von seiner Umklammerung.
Eine der weißgekleideten Personen beugte sich hinab, um
ihn hochzuheben, aber Richard schreckte zurück und kämpfte
verzweifelt gegen die Tränen an. Er wußte nur zu gut, was
passieren würde, wenn er weinte. Sein Vater hatte ihm das
schon längst beigebracht. Trotz seines Fluchtversuchs packte
ihn der große Mann in dem weißen Mantel und bog ihm die
Arme auf den Rücken. »Keine Bange«, sagte der Mann. »Du
willst doch nicht, daß wir dich wieder in die Jacke stecken
müssen, oder?« Richard schüttelte den Kopf. Nackte Angst
erfüllte ihn. Letztes Mal hatte ihn seine Mutter hierhergebracht,
nachdem er ihr erzählt hatte, was sein Vater immer mit ihm
anstellte, sie es ihm aber nicht geglaubt hatte. Dann war er
richtig zornig geworden. Sie hatten ihn in eine Jacke mit
Ärmeln gesteckt und sie ihm auf dem Rücken zusammengebunden, so daß er seine Arme nicht mehr hatte bewegen
können. Er hatte Todesängste ausgestanden – größere Ängste
als sie ihm sein Vater im Keller je eingejagt hatte.
Trotzdem war heute der Gedanke an die Jacke nicht einmal
das Schlimmste von allem.
Selbst die Vorstellung, daß sie ihn wieder in eiskaltes Wasser stecken könnten, war nicht das Schlimmste.
Das Schlimmste war, daß er wußte, was sie heute mit ihm
machen würden, denn seine Mutter hatte ihm davon erzählt.
»Es ist nur zu deinem Besten«, hatte sie erklärt. »Und es tut
ganz bestimmt nicht weh.«
Aber das stimmte nicht. Es tat sogar mehr weh, als alles
andere, an das er sich erinnern konnte, sogar mehr als die
Elektroschocks, die ihm sein Vater verpaßt hatte.
Und wieder sah er seine Mutter an, doch anstatt ihm zu
helfen, lächelte sie nur milde, als ob alles in Ordnung wäre.
»Sei jetzt mein lieber Junge, Richard. Sei Mamas Liebling. Das
bist du doch immer gewesen.«
Sie wandte sich ab und ging weg. Sie ließ ihn zurück bei den
großen Männern in ihren weißen Mänteln und drehte sich nicht
einmal nach ihm um.
An diesem Tag hatte er überhaupt nicht geweint. Er hatte
nicht einmal geweint, als sie ihn in den Raum schleppten, wo
das harte Bett mit den dicken Riemen stand, die ihn festhielten.
Auch dann nicht, als sie ihm die Drähte am Kopf anschlossen. Und auch dann nicht, als elektrische Schläge ihn durchzuckten, und er glaubte, sterben zu müssen.
Tatsächlich hat er überhaupt nie mehr geweint.
Und er hatte immer alles getan, um Mamas Bester zu sein.
Doch der Zorn – die kalte Wut, die er immer zu verbergen
suchte – begann zu wachsen.
Sie wuchs jeden Tag, jede Woche, jeden Monat.
Jahr für Jahr war die Wut bis ins Unermeßliche gewachsen.
Und seine Mutter hatte nie etwas davon bemerkt.
Immer hatte sie geglaubt, daß er ihr idealer kleiner Junge
war, der sie genauso liebte wie sie ihn.
Aber er wußte es besser. Egal, was sie auch sagte, er wußte,
daß sie ihn nicht liebte, daß sie ihn nie geliebt hatte. Hätte sie
das getan, dann hätte sie ihn auch vor seinem Vater beschützt
und vor den Männern in den weißen Mänteln mit ihrer
schrecklichen Maschine, die schlimmer war als die Stromkabel
seines Vaters.
Nein, sie liebte ihn nicht; sie haßte ihn, so wie auch er sie
haßte.
»Wollen Sie nicht nähertreten?« Die Worte kamen aus dem
Mund von Glen Jeffers, doch es war Richard Kraven, der die
Frage stellte und seiner Mutter die Tür aufhielt. »Ich war
gerade am Telefon. Warten Sie bitte eine Sekunde.«
Vornehm, dachte Edna Kraven, als sie zustimmend nickte.
So vornehm wie Richard gewesen war. »Ich hoffe sehr, daß ich
Sie nicht störe.«
Er machte eine abwehrende Geste. »Aber ich bitte Sie,
natürlich nicht.« Dann ging er zum Telefon. »Gordy? Leider ist
mir etwas dazwischengekommen. Ich rufe Sie später zurück.«
Ohne eine Antwort des Arztes abzuwarten, legte er den Hörer
auf die Gabel, ergriff sanft den Ellenbogen seiner Mutter und
führte sie ins Wohnzimmer. »Wie schön, daß Sie gekommen
sind.«
Edna war nervös, ließ sich auf einer Ecke des Sofas nieder
und schaute sich verstohlen die Möbel des Raumes an. Einige
davon fand sie genauso hübsch wie die von Richard. Vermutlich waren das die Möbelstücke, die Mr. Jeffers
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