Blitze des Bösen
nahm der
Fernsehmoderator zu Korrespondenten im ganzen Land
Kontakt auf, die Menschen interviewten, die auf irgendeine
Weise von der Hinrichtung betroffen waren.
Zuerst war es Edna Kraven, die in ihrem kleinen Haus im
Süden Seattles befragt wurde. Als das unbarmherzige Auge der
Kamera das tränenbedeckte Gesicht von Richard Kravens
Mutter in Nahaufnahme zeigte, wurde es Heather und ihren
Mitschülern ungemütlich. Sie wurden Zeugen, wie die persönlichsten Gefühle der Frau über den ganzen Kontinent ausgestrahlt wurden.
»Er ist immer ein guter Junge gewesen«, flüsterte Edna und
drehte in ihren Fingern ein Taschentuch, mit dem sie sich alle
paar Sekunden ihre rotgeränderten Augen abwischte. »Er war
gescheiter als andere Jungs, immer an allem interessiert und
immer so hilfsbereit. Alle mochten Richard. Wie konnte man
ihm das bloß antun! Er hat niemals jemanden verletzt –
niemals! Das war schreiendes Unrecht!« Die Kamera war voll
auf die verzweifelte Frau gerichtet, bis sie schluchzend
zusammenbrach. Erst dann, wenn auch fast widerstrebend, ließ
man sie mit ihrem privaten Kummer allein, blendete ab und
schwenkte zu Richards Bruder Rory, der seiner Mutter am
Tisch gegenübersaß.
»Für Sie muß das fast so hart gewesen sein wie für Ihre
Mutter«, sagte die hübsche, blonde Reporterin, die sich redlich
bemühte, ihrem Gesicht einen mitfühlenden Ausdruck zu
geben. »Erzählen Sie uns, was in Ihnen vorgegangen ist, als die
Uhr im Gefängnis neun schlug.«
Rory Kraven, augenscheinlich nervös wegen der Kamera,
sah seine Mutter an, dann zuckte er mit den Achseln. »Ich…
ich glaube, ich habe überhaupt nichts gedacht«, stammelte er.
»Ich meine, ich weiß, was mein Bruder getan hat und…«
Doch bevor er weiterreden konnte, unterbrach ihn seine
Mutter. »Nichts!« brauste sie auf. »Mein Richard hat nichts
getan, und das weißt du auch! Wie kannst du es wagen, so
schlecht über deinen Bruder zu sprechen? Wenn du nur halb
soviel Mann wärst wie er…«
Dann schwenkte die Kamera abrupt auf eine elegant
gekleidete und perfekt frisierte Frau von vielleicht sechzig
Jahren. Sie wurde von einer anderen attraktiven jungen
Reporterin interviewt.
»Ich bin hier bei Arla Talmadge in Atlanta. Mrs.Talmadge,
wie fühlen Sie sich heute?«
Die Dame trocknete sich die Augenwinkel mit einem perfekt
gebügelten Taschentuch, dann seufzte sie und schüttelte den
Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas fühle. Seit
Richard Kraven meinen Sohn getötet hat, spüre ich… ja, nur
noch Leere in mir. Hat er noch etwas gesagt, bevor man ihn…
also, bevor er…?«
»Allem Anschein nach nicht«, antwortete die Reporterin.
»Dann werden wir also nie erfahren, warum er es getan
hat… Und ich frage mich auch ständig, welchen Sinn sein Tod
eigentlich hatte. Schließlich werden dadurch weder mein Sohn
noch die anderen Opfer wieder lebendig. Ich frage mich
ununterbrochen, ob sich nicht eines Tages vielleicht doch noch
seine Unschuld herausgestellt hätte. Aber jetzt…« Sie holte
zitternd Atem und schüttelte dann wieder den Kopf. »Ich weiß
nicht…«, fuhr sie fort. »Ich glaube, man darf jetzt nur noch
daran denken, daß das Leben weitergeht.«
Weitere fünfzehn Minuten lang wurden nun noch
Angehörige und Freunde der Opfer interviewt. Manche
drückten Erleichterung darüber aus, daß dieses schlimme
Kapitel ihres Lebens endlich vorüber war, andere vermochten
kaum ihren Zorn darüber verhehlen, daß Richard Kraven vor
seinem Tod nicht gefoltert worden war. Wieder andere fügten
sich, wie Arla Talmadge, dem Unabänderlichen.
Mitten in eines dieser Interviews platzte der Ansager mit der
Nachricht, daß der Gefängnisdirektor nun bereit sei, eine
Presseerklärung abzugeben und sich den Fragen der Journalisten zu stellen. Die Szenerie wechselte ein einen grüngestrichenen Raum mit glänzend grauen Metalltischen, auf denen
mehrere Mikrofone standen.
Innerhalb der Klasse machte sich gespannte Erwartung breit.
Dann stießen sich die Schüler gegenseitig an, als sie Heather
Jeffers Mutter unter den Zeugen entdeckten, die Wendell
Rustin in den Raum folgten. Mit bleichem, angestrengt
wirkendem Gesicht stand sie in der Nähe der Wand.
»Sie ist es wirklich, Heather!« rief jemand von hinten. »Deine Mutter! Toll!«
Weil der Direktor zu sprechen begann, ignorierte Heather
diesen Kommentar und starrte auf den Schirm.
»Heute mittag um zwölf Uhr wurde Richard Kraven
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