Blitze des Bösen
ernst einordnen«, fuhr er
fort. »Aber das Schicksal hat es gut mit ihrem Mann gemeint.
Er ist nicht nur relativ jung, sondern auch in ausgesprochen
guter körperlicher Verfassung. Außerdem haben die Sanitäter
glänzende Arbeit geleistet.«
Anne hatte plötzlich den Eindruck, daß das Leben ihres
Mannes weit stärker bedroht gewesen war, als sie bislang
geglaubt hatte. »Wie schlimm war es?« wollte sie wissen.
»Er hat auf der Kippe gestanden.« Schon vor langem hatte er
gelernt, daß es den meisten Menschen lieber war, die harte
Wahrheit zu erfahren, als den Eindruck vermittelt zu bekommen, man würde ihnen etwas verbergen. »Im Krankenwagen
wäre er fast gestorben. Ein paar Minuten lang hing sein Leben
am seidenen Faden, aber er wurde gerade noch gerettet.«
Anne atmete schwer. »Er wäre fast…?« wiederholte sie, »Sie
meinen…?« Sie ließ die Frage im Raum stehen, dann riß sie
sich zusammen. Schließlich war sie ja Reporterin, die noch nie
eine Frage unausgesprochen hatte stehen lassen. »Wie eng war
es?« hakte sie nach, und Farber bemerkte an ihrem Tonfall, daß
sie alles darüber hören wollte.
»Seine Atmung und sein Herzschlag hatten aufgehört«,
führte er aus. »Wir haben ihn in letzter Sekunde wieder ins
Leben zurückgeholt.«
Anne erinnerte sich daran, daß Glen nicht das Wort Sattelschlepper eingefallen war, und all ihre Ängste kehrten
schlagartig wieder zurück. »Mein Gott«, stöhnte sie. »Ist er…
ist sein Gehirn…?« Diesmal schaffte sie es nicht mehr, die Frage zu vollenden.
»Die Sache sieht jetzt ziemlich gut aus«, sagte Farber. »Er
hat sich stabilisiert, und die nächsten Tage werden uns endgültigen Aufschluß geben. Wenn sich keine weiteren Zwischenfälle einstellen, denke ich, daß die Aussichten für eine
vollständige Genesung ausgezeichnet sind.«
»Und wenn sich… Zwischenfälle einstellen?«
Farber spreizte zurückhaltend seine Finger. »Darüber können
wir erst reden, wenn es wirklich dazu kommen sollte. Das
Wichtigste ist jetzt erst einmal, daß es ihm in Anbetracht der
Umstände gutgeht. Obwohl man es ihm nicht ansieht, ist er
schon wesentlich besser drauf als bei der Einlieferung heute
morgen.« Er stand auf, zog eine Broschüre aus seiner
Jackentasche und reichte sie ihr. »Lesen Sie sich dies doch
einmal durch, während ich meine Visite mache. Sobald ich
damit fertig bin, beantworte ich Ihnen jede Frage.«
Anne nahm die Broschüre, und sie starrte nur auf das Wort
im Titel: Herzinfarkt. Sie nickte stumm und ließ sich auf das
harte Sofa sinken. Einige Minuten lang blieb sie still sitzen,
hielt das Heft und versuchte, sich mit der Tatsache abzufinden,
daß Glen einen Infarkt erlitten hatte. Noch vor zwei Tagen,
sogar noch heute morgen, war er so stark, so gesund, so
lebendig gewesen.
Und dann war er dem Tode so nahe gewesen.
Ihr fiel noch einmal das Bild ein, wie er mit aschfahlem
Gesicht im Krankenbett gelegen hatte, sein Körper an alle
möglichen Geräte angeschlossen war und er so krank und
hilflos ausgesehen hatte. Was wäre, wenn es zu einem neuen –
wie hatte Farber gesagt: Zwischenfall käme?
Aber das wäre dann nicht bloß ein »Zwischenfall« – ein
weiterer Infarkt bedeutete zweifellos das Ende.
Was würde sie tun, wenn es dazu käme? Wie wollte sie
damit fertigwerden? Ein schreckliches Gefühl von Einsamkeit
und Hoffnungslosigkeit überkam sie. Sie hatte Angst, losheulen zu müssen und kämpfte dagegen an. Jetzt durfte sie auf
keinen Fall die Fassung verlieren.
Sie blätterte in der Broschüre, doch der Text ergab für sie
keinen Sinn. Zumindest in diesem Moment konnte sie nichts
damit anfangen. Jetzt mußte sie etwas anderes tun, etwas, das
ihre Gedanken von Glen ablenkte, und sei es auch nur für ein
paar Minuten.
Und sie erinnerte sich wieder an jenen Mann, der diesen
furchtbaren Tag nicht überlebt hatte.
Richard Kraven.
Der Mann, den sie erst vor wenigen Stunden auf dem elektrischen Stuhl hatte sterben sehen – ihre Story über ihn hätte
eigentlich längst fertig sein müssen. Sie begann sofort mit der
Arbeit, sie schien ihr das beste Mittel, die schreckliche Angst,
Glen zu verlieren, zu beherrschen. So konzentrierte sie sich
darauf, einen Artikel zu formulieren.
Einen Artikel über den Tod, aber nicht über Glens Tod.
Als Gordy Farber in den Warteraum zurückkehrte, hatte
Anne ihre Story bereits auf das Diktiergerät gesprochen.
Nun, da der Artikel unter Dach und Fach war, richtete sie
ihre
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