Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
zurückzuerobern sowie Leningrad zu befreien. Im weiteren Sinne sollte sie den Deutschen die Atempause rauben, in der sie neue Angriffe für das Frühjahr vorbereiten konnten.
Die Hauptverantwortung für das Durchbrechen der deutschen Befestigungen um Leningrad trug General Merezkows Wolchow-Front. Sie lag der 18. Armee der Heeresgruppe Nord an einer Linie gegenüber, die vom Ladogasee nach Südosten und am Fluss Wolchow entlang nach Nowgorod verlief. Während die Armeen innerhalb des Belagerungsrings mit aller Macht nach Süden und Osten vorstoßen sollten, hatten die Streitkräfte der Wolchow-Front den Auftrag, den Fluss westwärts zu überqueren und die deutschen Truppen um Ljuban, Tosno und Mga abzutrennen. Insgesamt sollten zunächst 326000 Soldaten für das Unternehmen eingesetzt werden, was theoretisch einen fünfzigprozentigen Vorteil an Personal, einen sechzigprozentigen an Kanonen und Minenwerfern und eine dreißigprozentige Überlegenheit an Flugzeugen mit sich brachte. 14
Stalin ignorierte Merezkows Bitten um mehr Artillerie, Reservisten und Zeit, in der dieser seine Einheiten konzentrieren und seine Logistik neu ordnen konnte. Er bestand darauf, dass die Offensive in der ersten Januarwoche einzuleiten sei. Um den (mutmaßlich verängstigten) Merezkow auf Trab zu halten, entsandte er den üblen Lew Mechlis nach Leningrad, Chef der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee und Organisator der militärischen Säuberungen von 1937/38. 15 Von Beginn an nahmen die Dinge einen ungünstigen Verlauf: Am 4. und 5. Januar wurden nach achtundvierzig Stunden schwerer Kämpfe bei Kirischi nur fünf Kilometer Boden gewonnen, am 6. Januar gingen bei einem Angriff über das Wolchow-Eis hinweg bereits in den ersten dreißig Minuten über dreitausend Mann durch Maschinengewehrfeuer verloren. »Fortsetzung der Angriffe des Feindes«, schrieb General Halder abschätzig in seinem Tagebuch, »aber kein Großangriff.« 16 Unkoordiniert und sporadisch setzte sich die Offensive bis in den Februar hinein fort. Hockenjos, der am 20. Februar nach Swanka zurückkehrte, fand das Kloster durch Beschuss vom anderen Wolchow-Ufer halb zerstört vor: »An den Hängen und im Klosterhof klaffen Trichter an Trichter, der Schnee ist pulverschwarz oder rot vom Ziegelstaub der zermalmten Mauern. Die Eichen und Kiefern am Vorderhang sind nur noch traurige Besen.« Eine Woche später wurde ein zweiter Sowjetansturm mühelos zurückgeschlagen:
Stalins neue Offensive … wurde fortgesetzt am Vormittag mit einem Potpourri von Ari-, Pak-, Ratschbum- und GrW-Grüßen, die der Iwan uns auf und um das Haus pflasterte, und fand seinen Höhepunkt, als mitten im hellsten Mittag fünfzehn Russen im Schneehemd und wohl von einer Festzulage Wodka befeuert, über die freie Fläche krochen. Der Leutnant von der Ari, Vogt und ich lagen in einem Laufgraben am Vorderhang, hatten Drahtverbindung zu den schweren Waffen und schauten ihnen zu. Zuerst machten sie sich an die Gruppe dunkler Punkte heran, die seit dem letzten Russenangriff mitten auf dem Wolchow lagen, und durchsuchten die Leichen nach Eßbarem; wir sahen mit dem Glas, wie sie Konserven aus den Rucksäcken der Toten holten. Dann wühlten sie sich weiter durch den Schnee auf unsere Waldspitze zu, die am Nordfuß des Klosterhügels gegen den Fluß vorspringt und in der mein linker Posten steht. Zweihundert Meter davor überfiel sie dann das Feuer unserer schweren Waffen. Die Einschläge lagen gut, die meisten der Fünfzehn blieben liegen. Ich hätte die Kerle ja gern näher an meine Posten herangelassen, um sie desto sicherer mit dem Gewehr zu erwischen oder gar im Waldrand zu schnappen, meine Männer lagen dort längst auf der Lauer. Aber die Herren von den schweren Waffen waren in der Überzahl und wollten sich das gefundene Fressen nicht entgehen lassen. In der Abenddämmerung wollten zwei von den toten Russen wieder lebendig werden und sich dünn machen, doch meine Posten paßten auf und schossen sie ab. Wieder sieben Russen weniger. 17
Ein paar Kilometer stromaufwärts, gegenüber dem Dorf Mjasnoi Bor (»Fleischwald«), machte die Offensive bessere Fortschritte. Ihre Speerspitze war die neu gebildete 2. Stoßarmee. Obwohl sie von einem militärisch unfähigen Handlanger Berijas geführt wurde und mit Rekruten aus der baumlosen Wolgasteppe besetzt war, gelang es ihr, die deutschen Linien am 17. Januar zu durchbrechen und tief in die deutsche Etappe vorzudringen. Bis Ende Februar hatten 100000 Mann
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