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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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ihm zurück. Immer war es Rufa, mit fünf Jahren die Älteste in meiner Klasse, die damit anfing. Sie war schon früher im Kindergarten gewesen und hatte anscheinend bei ihrer Großmutter gewohnt, die eines Tages einschlief und nicht mehr aufwachen wollte. Und davor hatte es eine Lilenka – wahrscheinlich eine jüngere Schwester – gegeben, die ebenfalls für immer einschlief. 29
    Olga, die früher wenig mit kleinen Kindern zu tun gehabt hatte, war zunächst kaum in der Lage, ihr »Kollektiv« unter Kontrolle zu halten, doch mit der Zeit lernte sie, die Mädchen während der Mahlzeiten mit einem Spielzeug aus ihrer eigenen Kindheit – einer Hunde-Handpuppe mit glänzenden Augen und Schlappohren – zu beruhigen und sie während der Luftangriffe mit einer Geschichte über einen Zaubertopf abzulenken, der so viel süße goldene Kascha hervorbrachte, dass sie aus dem Haus strömte und die Stadt überschwemmte. »Eine Menge Energie, Zeit und Kraft« ging in die Vorbereitungen für den Neujahrstag 1943 ein. Die Kinder mussten nicht nur primitive Gedichte zum Lob von Woroschilow rezitieren, die vom städtischen Erziehungsamt verteilt worden waren, sondern sich auch als Schneeflocken, Kaninchen und Bären verkleiden. Eine Lehrerin übernahm die Rolle der Snegurotschka, der Enkelin von Großväterchen Frost, und jonglierte mit Schneebällen aus Baumwolle. Tante Motja, die unbestechliche achtzigjährige Schulköchin, backte piroschki aus sorgfältig gehortetem Mehl. Olga blieb bis Herbst 1944, als sie ihr Studium fortsetzte, in der Schule. Dort war sie nicht nur vor der Verzweiflung gerettet worden, sondern hatte auch »einen Platz in der Welt« erobert. Später schrieb sie: »Nun dachte ich, dass ich Menschen benötigte und dass sie mich vielleicht auch benötigten.«

 
    21
    Das letzte Jahr
    Zu Hitlers Zielen für 1942 gehörte die Stürmung von Leningrad. Laut einer Führerweisung vom 5. April sollte diese im Rahmen der Operation Nordlicht stattfinden, sobald durch den Sieg auf der Krim Panzer und Geschütze freigesetzt waren. 1 Obwohl seine Generale einen weiteren Angriff auf Moskau befürworteten, bekräftigte Hitler seine Absicht nach der Einnahme von Sewastopol. Er befahl Manstein, fünf Divisionen und ein riesiges Eisenbahngeschütz, den »Schweren Gustav«, nach Norden zu führen. 2 Ein paar Tage später erklärte er beim Mittagessen, Leningrad sei, genau wie Moskau, dem Erdboden gleichzumachen. Anschließend würden sich die Russen nach Sibirien zurückziehen. 3 Doch weit davon entfernt, nach Sibirien zurückzuweichen, unternahm die Rote Armee Mitte August ihren vierten Versuch, die deutschen Linien am Südufer des Ladogasees zu durchbrechen. Dabei konzentrierten sie sich auf die bereits blutgetränkten Sinjawino-Höhen südlich von Schlüsselburg. Mansteins neue Divisionen konnten einen Durchbruch verhindern, waren jedoch nicht in der Lage, die Operation Nordlicht einzuleiten. Unterdessen startete Hitler die Operation Blau, einen mächtigen Vorstoß nach Süden in Richtung Kaukasus und Zentralasien. Rostow am Don fiel in der letzten Juliwoche, und gegen Mitte August erreichten deutsche Panzer die Vorhügel des Kaukasus, womit sie den Ölfeldern von Baku verlockend nahe waren.
    In Wirklichkeit wendete sich das Blatt jedoch zugunsten Russlands. Im Herbst wirkte die Wehrmacht stark überfordert: Ihre Nachschublinien waren dünn, ihre Rekruten immer jünger und unerfahrener und ihre Generale zunehmend Jasager – »nickende Esel«, wie Speer sie nannte 4 (Halder trat im September zurück, nachdem er über Hitlers Tobsuchtsanfälle und dessen »immer schon vorhandene Unterschätzung der feindlichen Möglichkeiten« geklagt hatte). Die Sowjetstreitkräfte dagegen begannen nun, an einem Strang zu ziehen. Im Gegensatz zu Hitler hatte Stalin sich damit abgefunden, militärische Entscheidungen am besten den Experten zu überlassen. Er hörte seinen Generalen immer häufiger zu, und im Oktober entzog er den politischen Kommissaren, die den Berufsoffizieren lästigerweise nicht von den Fersen wichen, die meisten Vollmachten. Lieferungen aus dem Leih-Pacht-Abkommen trafen auf dem Landweg über Wladiwostok und Teheran statt mit den unsicheren Arktiskonvois ein, und die Waffenproduktion erhöhte sich, besonders was die robusten, zuverlässigen T-34-Panzer und die PPSch-41-Maschinenpistolen betraf.
    Auch die schiere Größe der Sowjetbevölkerung machte sich bemerkbar, genau wie die Bereitschaft der Roten Armee, Frauen

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