Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
Ostroumowa-Lebedewa arbeitete weiter als Malerin, genoss die Gunst der Behörden und veröffentlichte vor ihrem Tod im Jahr 1957 drei Bände stark zensierter Tagebücher.
Maria Maschkowa wurde während der »Anti-Kosmopolitismus-Kampagne« aus der Öffentlichen Bibliothek entlassen, doch drei Jahre später erneut eingestellt und arbeitete dort bis zu ihrem Ruhestand.
Olga Freudenberg verlor während derselben Kampagne ihr Amt als Dekanin der Altphilologischen Fakultät. Dies nahm ihr die Lebenslust, aber sie wurde noch Zeugin von Stalins Tod und der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an ihren Cousin Boris Pasternak.
Anna Selenowa erlebte, dass ihr geliebter Pawlowsker Palast vollauf restauriert wurde. Sie starb 1980 während eines Vortrags auf einer Parteiversammlung.
Alexander Boldyrew ließ sich scheiden und heiratete kurz nach dem Krieg erneut. Er entfremdete sich von seiner Tochter, verlor jedoch nie seine Bindung an die Eremitage. Bis zu seiner Pensionierung veröffentlichte er über hundert Untersuchungen der altpersischen Literatur. Er starb 1993.
Olga Gretschina beendete ihr Studium und wurde Assistenzprofessorin am Pädagogischen Herzen-Institut, wo sie sich auf Puschkins Gebrauch der Folklore spezialisierte. Sie heiratete, brachte zwei Töchter zur Welt und starb im Jahr 2000 im Alter von achtundsiebzig Jahren.
Vera Inber erhielt die Vollmitgliedschaft der Kommunistischen Partei und kehrte mit ihrem Mann nach Moskau zurück. Ungeachtet ihrer Verbindung zu Trotzki blieb sie von den Nachkriegssäuberungen verschont und war bis zu ihrem Tod im Jahr 1972 eine loyale Angehörige des literarischen Establishments.
Olga Berggolz war dem Druck nicht gewachsen, wandte sich dem Alkohol zu und verspürte eine paradoxe Nostalgie nach der Intensität und Zielstrebigkeit des Blockadelebens. Eine zufällige Begegnung im Theater mit ihrem früheren NKWD-Vernehmer (»Erkennen Sie mich, Olga Fjodorowna? Kann ich etwas für Sie tun?«) trug zur Entlassung ihres in der Verbannung lebenden Vaters bei; der Arzt kehrte 1948 nach Leningrad zurück, starb jedoch kaum ein Jahr später. 10 Ihr eigener Tod im Jahr 1975 wurde offiziell kaum bekannt gemacht. Doch die Nachricht verbreitete sich durch Mundpropaganda, und ihr Begräbnis auf dem Wolkowo-Friedhof verwandelte sich in ein spontanes öffentliches Ereignis, an dem Tausende gewöhnlicher Leningrader Bürger teilnahmen.
Wassili Tschekrisow arbeitete weiterhin im Schiffbau und wurde siebenundneunzig Jahre alt. In einem Zusatz zu seinem Kriegstagebuch verfluchte er »den verdammten Boris [Jelzin]« wegen des Zusammenbruchs des Kommunismus.
Oberleutnant Fritz Hockenjos verließ seinen Radfahrzug und schloss sich einer SS-Infanteriedivision am Rhein an, wo er in amerikanische Gefangenschaft geriet. Nach zweijähriger Kriegsgefangenschaft kehrte er zu seiner Arbeit als Förster zurück und schrieb eine populäre Reihe von Wanderführern durch den Schwarzwald.
Leningrad – St. Petersburg – ist immer noch eine schwermütige Stadt. Helle neue Straßenfassaden mit Ladenschildern und PVC-Fenstern können die zerbrochenen Dachrinnen und die dahinirrenden Ahornsämlinge auf den modrigen Hinterhöfen nicht verbergen. Wie andere ehemalige Hauptstädte wirkt es zu klein für seine Architektur, für seine großen Paläste und Regierungsgebäude, die nun schläfrige Hochschulinstitute oder ruhige Museen enthalten. Doch die Schwermut ist von der Art, die an freundliche Herbstblätter oder an bröckelnden Stuck denken lässt, eher nostalgisch als tragisch, wird sie von den Gespenstern einprägsamer literarischer Gestalten – Prinzessin Hélène mit den weißen Schultern; Raskolnikow, die Axt in der Hand – begleitet, nicht von den schattenhaften Massen der Belagerung. Anders als im unverfrorenen Moskau fallen keine Neureichen ins Auge; Buchläden sind zahlreicher als Versace-Boutiquen; alte Frauen, mit schäbigen Strickjacken und wunderbaren Gesichtern, füllen das Parkett der Philharmonie; und die Studenten, die nach den Vorlesungen zur Moika spazieren, flirten untereinander und nicht mit den verschlagenen Männern in eleganter italienischer Kleidung, die an der Bar des Jewropa Espresso für acht Dollar trinken. Das Drama rührt vom Wetter her; der ruhelose Himmel verleiht dem dahinströmenden Fluss seine Farbe; Schnee fällt endlos und wirbelt in dicken Flocken irritierend dahin; Meereswinde lassen die Augen schmerzen und fegen die Straßen rein.
Das letzte Wort gebührt
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