Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
können. Das nächste Opfer der Minen war – zu Beginn der Abenddämmerung – der Minenräumer Krab ; es folgten ein U-Boot, das in weniger als einer Minute unter den Wellen verschwand, dann die Saturn , immer noch die Wironia schleppend. Ein Kanonenboot sank um 20.30 Uhr bei Sonnenuntergang und ein weiteres U-Boot um 20.48 Uhr. Zwei Minuten später wurde ein Zerstörer, die Jakow Swerdlow , von einem für die Kirow gedachten Torpedo getroffen und war nach sechs Minuten nicht mehr zu sehen. »Die Dunkelheit«, wie Admiral Kusnezow schildert,
setzte rasch ein. Die Silhouetten der Schiffe, die am Ende dahindampften, hoben sich deutlich vor den in Tallinn wütenden Bränden ab. Riesige Säulen aus Feuer und schwarzem Rauch, die aus dem Wasser hochschossen, ließen den Verlust von Kriegs- und Frachtschiffen deutlich werden. Bei Abendanbruch schwoll das hässliche Brüllen der Nazi-Bombenflugzeuge an. Aber das hieß noch lange nicht, dass die Besatzungen sich ausruhen konnten, denn vom Wasser her drohte weiterhin Gefahr. In der Finsternis war es schwierig, die vertäuten Minen zu entdecken, die nun zwischen den Trümmern der zerschmetterten Rettungsboote dahintrieben.
Zwischen 21 und 23 Uhr gingen weitere neun Schiffe verloren, darunter der Frachter Ewerita , die Luga mit dreihundert Verwundeten und noch vier der acht Zerstörer der Flottille. Nachdem eine Mine in einem ihrer Minenabweiser explodiert war, wälzte sich die Minsk , mit Admiral Pantelejew an Bord, im Wasser. Der Minenleger Skory nahm sie ins Schlepptau, nur um eine halbe Stunde später selbst getroffen zu werden und unterzugehen. Das am besten in Erinnerung gebliebene Opfer war die Weronia mit den Zivilisten an Bord. Nach rechts geneigt und Qualm ausstoßend, wurde sie bereits abgeschleppt, als sie um 21.45 Uhr auf eine Mine auflief. In sowjetischen Berichten ist von dunklen Silhouetten vor den Flammen die Rede, als Passagiere vom brennenden Achterdeck sprangen, von den Klängen der Internationale, die über das Wasser wehten, vom Knallen der Revolver, als sich Offiziere in den Sekunden, bevor ihr Schiff von den Wellen verschlungen wurde, das Leben nahmen.
Kurz vor Mitternacht ankerten die noch verschonten Schiffe inmitten der Minen und warteten auf bessere Sicht. In der Morgendämmerung lichteten sie wieder die Anker, und das Blutbad setzte sich fort. Bis zum Ende des Nachmittags waren sechs weitere Schiffe von Minen und acht von Bomben versenkt worden; finnische Patrouillenboote hatten zwei Schlepper erbeutet. Zu den Opfern gehörten das Truppentransportschiff Fünfjahresplan mit dreitausend Soldaten an Bord und das Patrouillenschiff Sneg , das Überlebende von der Weronia aufgenommen hatte. Vier weitere beschädigte Schiffe, drei davon Truppentransporter, schafften es, vor der mitten im Finnischen Meerbusen gelegenen Insel Hochland (Hogland für die Schweden, Suursari für die Finnen) auf Grund zu setzen. Von dort wurden die Soldaten (unter ihnen die Überlebenden des 5. Motorisierten Schützenregiments) mit kleinen Booten nach Kronstadt gebracht. Die restlichen Schiffe der Flottille quälten sich innerhalb der folgenden vier Tage in den Hafen. Die ganze Operation hatte fünfundsechzig Gefährte und etwa 14000 Leben gekostet. 31
Es war das größte Unglück der russischen Flottengeschichte, mindestens doppelt so kostspielig wie die Niederlage der zaristischen Marine gegen die Japaner bei Tsushima im Jahr 1905 – das erste Mal, dass eine asiatische eine europäische Macht auf See besiegt hatte. Später stritt man sich heftig über die Ursachen des Fehlschlags. Kusnezow und Pantelejew unterstützten die Entscheidung, Tallinn zu verteidigen, meinten jedoch, dass die Zivilisten viel früher hätten evakuiert werden müssen. Sie machten Woroschilow dafür verantwortlich, dass er nicht rechtzeitig Evakuierungspläne habe entwerfen lassen. Auch wäre es ratsamer gewesen, die Geleitzüge durch tieferes Wasser fahren zu lassen, wo sie zwar von deutschen U-Booten attackiert worden wären, jedoch die Küstenbatterien und die meisten Minenfelder vermieden hätten. Natürlich wäre es auch vernünftiger gewesen, mehr Minenräumer heranzuziehen (»Aber woher hätten wir sie nehmen sollen?«, fragte Kusnezow). Heutige Militärhistoriker stellen die Verteidigung von Tallinn selbst in Frage, bei der ungefähr 20000 russische Soldaten von nur vier deutschen Divisionen, deren Abwesenheit sich auf die Kämpfe weiter östlich kaum auswirkte, gebunden und in
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