Blood and Chocolate - Curtis Klause, A: Blood and Chocolate - Blood and Chocolate
daneben gestanden und es mir angesehen, aber Rudy sagt, du hast Neuigkeiten für mich.«
»Dann verpass ich ihm eben ein anderes Mal eine«, sagte sie.
Sie gingen weiter auf den schattigen Parkplatz hinaus. »Also, was gibt es – Schwesterchen?«, fragte er. Am liebsten hätte sie ihm die Meinung gesagt, weil er damit nicht aufhörte, doch angesichts des glühenden Blickes in seinen Augen verkniff sie sich ihre sarkastische Erwiderung.
»Astrid hat gestern Nacht einen Lauf am Fluss angeführt«, sagte sie.
»Hat sie das, ja?« Sein Tonfall war ungezwungen, doch ihr fiel ein leichtes Zucken in seiner Wange auf. »Und wer ist dabei gewesen?«
Während ihrer Aufzählung lauschte er mit gesenktem Kopf und strich sich über die kleine Narbe an seiner Lippe.
Nachdem sie alles berichtet hatte, herrschte langes Schweigen. Sie warf Rudy einen Blick zu, der jedoch Gabriel mit besorgter Miene beobachtete.
Schließlich ergriff Gabriel das Wort. »Ich werde wohl Miss Astrid einen kleinen Besuch abstatten«, sagte er leise. Er blickte auf, und in seinen Pupillen spiegelte sich der Schein einer entfernten Straßenlampe – sie glühten leuchtend rot.
Was habe ich da nur losgetreten? , fragte sich Vivian besorgt.
12
Vivian ließ ihre Einkaufstüte voll neuer Farben am Fuß der Treppe fallen. Die Tüte kippte um, und eine Riesentube verbranntes Umbrabraun, dick wie eine Wurst, rollte heraus und wippte leicht auf dem Holzboden am Rand des Dielenläufers. Das Haus war so still, dass das gedämpfte Poltern der kurzen Reise der Tube in ihren Ohren widerhallte. Wo ist Esmé? Montag war ihr freier Tag, doch keine Musik dröhnte durch das Haus, und es roch nicht nach Abendessen.
Vivian erhielt ihre Antwort, als sie ins Wohnzimmer ging und dort zu ihrer Überraschung ihre Mutter vorfand, die inmitten von Fotografien auf dem Boden saß. Weitere Bilder quollen aus einer umgeworfenen Schuhschachtel neben ihr.
Esmé blickte mit Tränen in den Augen auf. »Ich konnte mich nicht mehr an sein Gesicht erinnern«, sagte sie verzweifelt.
Vivian ließ sich neben Esmé auf den Boden sinken, den Mund vor Sorge angespannt. Überall auf dem Teppich waren Bilder ihres Vaters ausgebreitet: Dad, der lachte, Dad beim Holzhacken, Dad in der Küche im Gasthof, wie er gerade Soße kochte.
»Ich habe so sehr versucht, ihn zu vergessen, damit sein Verlust nicht mehr wehtäte«, sagte Esmé, »und dann habe ich heute an ihn gedacht und konnte ihn nicht sehen. Es war, als hätte ich einen Teil meines Selbst abgerissen und mich selbst zum Krüppel gemacht. Als hätte ich in einen Spiegel geschaut, ohne mein eigenes Spiegelbild sehen zu können.« Die Tränen rannen ihre Wangen hinab.
Es tat Vivian weh, ihre Mutter so unglücklich zu sehen. Sie wusste nicht, was schlimmer war: das harte, glitzernde Juwel, das im vergangenen Jahr aus ihrer Mutter geworden war, oder die todunglückliche Frau jetzt neben ihr. Vivian wusste nicht, was sie sagen sollte. Stattdessen griff sie nach einem Bild von sich selbst im Alter von drei Jahren, auf dem sie nichts als eine OshKosh-Latzhose trug und neben ihrem Vater stand, der im Kräutergarten Unkraut jätete. Sie hatte ihm »geholfen« und hörte in Gedanken immer noch seine geduldige Stimme, die sagte: »Nein, Süße, das da nicht.« Er hatte es immer wieder sagen müssen.
»Dad hätte alles in Ordnung gebracht, nicht wahr?«, sagte Vivian. »Wir würden nicht in solchen Schwierigkeiten stecken, wenn er da wäre.«
Esmé schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Schock durchzuckte Vivian wie ein scharfes kleines Messer. »Sicher hätte er das. Er hätte gewusst, wie man Astrid dazu bringt, nicht aus der Reihe zu tanzen. Er hätte dafür gesorgt, dass nichts Schlimmes passiert.«
»Aber das hat er nicht getan, oder?«, sagte Esmé. »Der
Gasthof ist niedergebrannt. Leute sind gestorben. Wenn er überlebt hätte, hätte man ihn als untauglich befunden und herausgefordert.«
»Das stimmt nicht!«, rief Vivian.
»Du weißt, dass es stimmt«, sagte Esmé. »In seinem Wolfspelz war er genauso stark wie jeder andere von ihnen, aber in vielerlei Hinsicht ist er sanft gewesen. Er hätte sich so schlecht gefühlt, versagt zu haben, dass er wahrscheinlich kampflos das Feld für einen anderen geräumt hätte.«
Esmé hatte Recht, aber einen Moment lang hasste Vivian ihre Mutter dafür, dass sie es aussprach.
Esmé bemerkte Vivians Zorn nicht. Geistesabwesend schob sie die Fotos auf dem Teppich ineinander, als könne
Weitere Kostenlose Bücher