Blood Empire - Das Blutreich
hatte, war längst eingetroffen. Aber für Franz Fürst von Radvanyi war es im Moment kaum noch von Interesse, ob ein paar unbotmäßige Leute in der Stadtverwaltung seine Immobiliengeschäfte zu vereiteln versuchten. Noch immer stand er unter dem Eindruck der kurzen Vision, die er gehabt hatte. Du wirst der Bedeutung auf den Grund gehen müssen!, ging es ihm durch den Kopf.
Radvanyi zog das Papier aus dem Fernschreiber heraus, überflog flüchtig die Zeilen. Es sah danach aus, dass es Ärger geben würde. Aber für Radvanyi hatte das im Moment keinerlei Bedeutung.
*
"Ich spüre genau, dass diese Traumvision eine ganz spezielle Bedeutung hat!", sagte Radvanyi, als er in der nächsten Nacht Basil Dukakis gegenübersaß, einem Vampir, der das Pech gehabt hatte, erst im Alter von über 80 zum ewigen, untoten Leben erweckt worden zu sein. Der greisenhaft wirkende Dukakis saß in einem der zierlichen Rokoko-Sessel, die in Radvanyis Büro standen und blätterte gerade in einer gut erhaltenen Ausgabe von Simón de Cartagenas KOMPENDIUM MAGIRUM. Dukakis war so etwas wie ein Berater in okkulten Fragen für den Fürst. Zwar war Radvanyi selbst einer der größten Experten auf diesem Gebiet und nannte eine umfangreiche Bibliothek zu diesem Thema sein Eigen, aber hin und wieder brauchte der Fürst jemanden, mit dem er eine fundierte Meinung austauschen konnte.
"Nach dem, was Sie mir schildern, Fürst, gehe ich auch davon aus, dass es sich um einen seherischen Traum handelt."
"Einen, der mit der Zukunft zu tun hat?"
"Möglicherweise. Aber es könnte auch um ein Ereignis gehen, dass gerade eben stattgefunden hat und auf besondere Weise mit Ihrem Schicksal verknüpft ist."
"Die Geburt eines Kindes", murmelte Radvanyi.
"Der Schluss liegt nahe... Jemand ist geboren worden, der später für Sie von überragender Bedeutung sein wird!"
Die dürren Hände des Fürsten krampften sich zu Fäusten zusammen. Ein angestrengter Zug trat in sein bleiches, gepudertes Gesicht. Er schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Sie waren so flüchtig, diese Traumbilder... Aber der Fürst spürte, dass er sie so gut es ging in seiner Erinnerung festhalten musste, weil sich in ihnen etwas offenbarte, das mit seinem zukünftigen Schicksal in Zusammenhang stand.
"Den zweiten Teil des Traums muss man wohl metaphorisch verstehen, oder sind Sie anderer Ansicht, Basil?"
"Nein, durchaus nicht. Offenbar werden Sie eines Tages sehr dringend auf Hilfe angewiesen sein."
"Jemand sticht mir seinen Degen zwischen die Rippen, quasi mitten ins Herz hinein. Außerdem schlägt er mir den rechten Arm ab."
"Der rechte Arm könnte eine Person sein, die für Sie von Bedeutung ist." Radvanyi nickte. Dieser Gedanke war ihm auch schon gekommen.
"Der Stich ins Herz kann nur bedeuten, dass ich dem Täter vertraut habe."
"Richtig..."
"Aber ich bin gelähmt..."
"Und unfähig, die Bedrohung zu erkennen!"
"Eine Aussicht, die mir nicht gefällt, Basil."
"Die Zukunft ist nichts, was schon geschehen wäre, Fürst. Nichts, was sich nicht noch ändern ließe. So ein seherischer Traum - darin sind sich die meisten Experten einig - spricht lediglich für eine hohe Wahrscheinlichkeit mit der ein Ereignis eintritt. Sie können das ihre dazu tun, um der Bedrohung zu entgehen."
"Wann immer sie auch eintreten mag."
Dukakis hob die dünnen, kaum noch sichtbaren weißhaarigen Augenbrauen.
"Nun, das lässt sich leicht anhand der Lebenserwartung eines Sterblichen errechnen. Wie alt war der Kerl, der Ihnen geholfen hat?"
"Vielleicht zwanzig ---vorausgesetzt er war ein Sterblicher, Basil."
*
In den folgenden Jahren verfolgte jene Traumvision Fürst von Radvanyi immer wieder. Jedes Mal durchlebte er das grausige Geschehen aufs Neue. Manchmal erwachte er in blutigen Schweiß gebadet aus seiner Tagesruhe. Radvanyi tat alles, um herauszufinden, wer es war, den er vor seinem Auge gesehen hatte. Er ließ durch seine Mittelsmänner die Geburtsregister von New York City durchforsten. Aber die Anhaltspunkte waren einfach zu vage. Einige Jahrzehnte später, nachdem das Gesundheitssystem ebenso computerisiert worden war wie die Behörden wäre es ihm vielleicht gelungen.
Aber das war Zukunftsmusik.
Mit den Jahren wurden die Träume seltener.
Beinahe zwanzig Jahre dauerte es allerdings, ehe Radvanyi den nächsten Hinweis erhielt.
Und das zufällig.
Gemeinsam mit Comte Jean-Aristide Leroque saß er auf der Rückbank einer überlangen Mercedes-Limousine. Der Chauffeur
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