Blood Empire - SCHLÄCHTER DER NACHT (Folgen 1-6, Komplettausgabe)
erschrecken", sagte er.
"Ich..." Petra öffnete den Mund, wollte etwas erwidern, aber in ihrem Kopf war kein einziger klarer Gedanke. Nur Bilder, Gefühle und...
...Verwirrung.
Vielleicht hat er es immer getan, all die Jahre lang und du hast es nicht bemerkt!, überlegte sie. Jeden deiner Gedanken gelesen, ohne, dass du es auch nur geahnt hättest...
"Nein, das habe ich nicht", erwiderte er. Ein beinahe mildes Lächeln spielte um seinen schmallippigen Mund. "Um ehrlich zu sein, bin ich nur sehr selten dazu in der Lage.
Woran es liegt, weiß ich nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass meine Fähigkeiten in dieser Hinsicht wachsen... Meine Kraft nimmt zu, Petra. Ein wunderbares Gefühl." Er nahm sie in den Arm, sie schmiegte sich an ihn. "Lass uns tanzen", sagte er.
"Gerne."
Die Musik war langsamer geworden.
Ein Trompeter, der sehr viel Miles Davis und Chet Baker gehört haben musste, spielte mit aufgesetztem Dämpfer. Kühle, glasklare Töne ohne Vibrato, die aus dem Nichts zu kommen schienen.
Petra erkannte die Melodie schon nach den ersten Takten.
'Someday my prince will come...'
*
Vergangenheit: New Bop Club, Harlem, Mitte 1951
"Hey, das sind ja alles Neger!"
"Reiß dich ein bisschen zusammen! Du bist hier nicht in Alabama, Robbie!", tadelte Petra den jungen, etwas grobschlächtig wirkenden Mann mit den aschblonden Haaren, der zu ihrer Clique gehörte.
Robbie grinste.
"Wenn ich zu Hause in Alabama wäre, hätte ich 'Nigger'
gesagt!", meinte er.
"Mensch, lass den Scheiß, wir wollen hier noch einen Drink serviert kriegen!", mischte sich jetzt Cal ein, ein schmächtiger Typ im Jackett und dunklem Rollkragenpullover.
Die Greenwich Village-Ausgabe eines Pariser Existenzialisten.
Cal war Dichter. Jedenfalls bezeichnete er sich so. Sein ganzer Stolz waren ein paar verquere Zeilen, die im NEW
YORKER abgedruckt worden waren.
Robbie hingegen studierte an der Columbia. Seine Eltern glaubten, dass er sich mit Jura beschäftigte. In Wahrheit belegte er Kunstgeschichte.
Die vierte im Bunde war ein quirliges Girl mit blonden Locken, das viel kicherte. Vor allem, wenn Robbie irgendetwas sagte.
Sie setzten sich an einen der Tische.
Auf der Bühne spielte ein Trompeter eine Ballade mit Dämpfer, leise begleitet von Bass, Schlagzeug und Piano. Die Musik nahm Petra gefangen.
Robbie quatschte sie an.
"Auch wenn ich aus Alabama komme, heißt das noch lange nicht, dass ich irgendwelche Vorurteile gegen Neger hätte!", sagte er. "Ich halte mich da für liberal. Außerdem kann man von der äußeren Erscheinung ja auch schlecht auf das Innere eines Menschen schließen. Du zum Beispiel Petra! Siehst du vielleicht mit deinen pechschwarzen Haaren wie eine Deutsche aus?"
"Halt die Klappe!"
"Wie eine Kraut wirkst du nun wirklich nicht! Ich dachte immer, die hätten alle blonde Zöpfe und sprechen schlecht Englisch!"
"Ich sagte: Halt die Klappe, Robbie!"
"Hey, warum so zickig!"
"Weil ich die Musik hören will!"
"Ist ja schon gut."
Petra versank im Zauber der Musik. Sie bekam nicht einmal richtig mit, als Cal irgendetwas schrecklich Kluges dazu sagte.
Auf einmal fühlte sie sich beobachtet.
PETRA...
Als ob jemand ihren Namen gerufen hatte! Jemand in ihrem Kopf. Eine Stimme...
Sie schluckte, fühlte auf einmal, wie ihr Puls sich beschleunigte. Muss an der scheußlichen Hitze in diesem Sommer liegen!, dachte sie. Aber dann sah sie den Mann im eleganten Anzug, der an einem der hinteren Tische saß und sie beobachtete. Er fiel schon dadurch auf, dass er einer der wenigen Weißen im Publikum des New Bop Club war.
Ein ausgesprochen elegant bekleideter Mann.
Der zu einem Zopf zusammengefasste Haarschopf gab ihm etwas Exotisches.
Lässig hatte er die Beine übereinander geschlagen.
Er lächelte sie an.
Eine geradezu unheimliche Aura ging von ihm aus.
Petra war vom ersten Moment der gerade zu hypnotischen Faszination erlegen, die von diesem Mann ausging.
SETZ DICH ZU MIR, PETRA!!
Wieder diese Stimme, die in ihrem Kopf widerhallte.
Katrin war sich sicher, dass es SEINE Stimme sein musste, obwohl er gar nicht den Mund bewegte. Außerdem hätte man seine Worte auf diese Distanz ohnehin nicht verstehen können.
KOMM HER, PETRA!
Sie erhob sich plötzlich.
Wie durch Watte hörte sie Cals Worte.
"Hey, was ist los?"
Petra ging geradewegs auf den Mann im dunklen Anzug zu.
Sie hörte noch, wie Robbie meinte: "Hat wohl irgendeinen Bekannten entdeckt." Das Girl mit den blonden Locken kicherte dazu.
Petra erreichte
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