Blood Lily Chronicles 02 - Zerrissen
Haut aufschlitzte, hörte ich, wie meine Schwester tief einatmete.
»Das Messer!«, rief Clarence. Kiera warf es ihm zu. »Jetzt nehmt euch bei der Hand! Schnell! Schnell!«
Das taten wir, und keine Sekunde zu früh, denn als mein Blut auf das Symbol am Boden tropfte, brach praktisch gleichzeitig der Estrich unter unseren Füßen weg. Die farbige Linie, die um uns gezeichnet war, drehte sich und stieg hoch, als würde ein dünner, nebelartiger Vorhang aufgezogen. Wir fanden uns in einer sich drehenden, windenden Röhre wieder, die sich ausdehnte und wieder zusammenzog. Außerhalb der Röhre wurde es stockdunkel. Ich drückte Kieras Hand fest und war zum ersten Mal dankbar, dass ich auf dieser irren Reise Begleitung hatte.
Erst kam es mir vor, als wären wir gar nicht unterwegs, doch dann kam das Ziehen, das harte Reißen in der Bauchgegend. Kiera schrie auf, daran erkannte ich, dass auch sie es spürte, und plötzlich rasten wir durch freien Raum. Wir klammerten uns aneinander, und um uns war das Nichts.
Aber das stimmte nicht. Wir hörten Klänge. Sahen Lichtpunkte. Und merkwürdige Nebelschwaden. Und empfanden das überwältigende Gefühl, nicht allein zu sein.
Der Boden unter uns war verschwunden, und das einzige Gefühl von Wirklichkeit verschaffte mir der eiserne Griff von Kieras Hand. Ihre Fingernägel schnitten mir so tief ins Fleisch, dass ich blutete, und dieser Schmerz half mir, bei Verstand zu bleiben. Denn wenn diese Reise nicht bald zu Ende war, würde ich nur noch schreien und schreien und schreien und ...
»Meine Fresse!« Kieras Stimme drang durch den finsteren Raum, in dem wir soeben gelandet waren.
»Pssst!« Ohne lange nachzudenken, hielt ich ihr den Mund zu. »Jemand ist mit uns mitgekommen«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Ich spürte, wie sie nickte, sehen konnte ich es nicht. Wo wir auch sein mochten, es war stockdunkel. Ich fürchtete schon, dass Clarence einen Auffrischungskurs als Brückenbauer brauchte.
Ein leichter Lufthauch strich mir übers Haar. Ich drehte den Kopf, um herauszufinden, woher er kam. Dann tippte ich Kiera an und kroch in diese Richtung. Kleine Steine drückten mir gegen Handflächen und Knie, während ich mich zentimeterweise vorwärtsschob. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die aber wahrscheinlich nur eine Viertelstunde dauerte, erreichte ich eine Wand. Ich wusste nicht, ob wir allein in dem Raum waren, aber falls nicht, wollte ich unserem Weggefährten nicht unseren Standort verraten. Allerdings fiel mir keine Alternative ein. Wenn es einen Weg aus diesem Zimmer gab, dann dort, wo der Luftzug herkam. Aber den Ausgang konnte ich nicht ertasten. Weitere Ideen hatte ich nicht.
Ich zog das Handy aus der Innentasche meines Mantels und schimpfte gleichzeitig innerlich auf Clarence, weil der uns nicht allerhand zum Überleben nützliche Dinge mitgegeben hatte, wie etwa Plastiksprengstoff und einen Zünder.
Ich klappte das Handy auf und leuchtete den Raum ab, bis Kiera in dem seltsamen blauen Licht auftauchte. Gott sei Dank war ihr Gesicht das Einzige, das ich sah. Vielleicht war doch niemand mit uns über die Brücke gekommen? Vielleicht waren wir allein hier, konnten den Schlüssel holen und unbehelligt wieder verduften.
Was denn? Ein Mädchen wird doch noch träumen dürfen!
Kiera glitt neben mich und unterstütze mich mit ihrem Handy. »Wo sind wir eigentlich?«, wollte sie wissen.
»Keine Ahnung. Kriegst du ein Signal?« Mein Display zeigte nur: Keine Verbindung, und ihres logischerweise auch. Technologie im Wert von mehreren Hundert Dollar, und alles, was wir dafür bekamen, waren teure Taschenlampen. »Da.« Ich zeigte auf einen Spalt im Gestein. »Ich glaube, wenn wir dagegendrücken ...«
Und schon drückte ich, und der Stein lockerte sich tatsächlich. »Hilf mir!« Sie stellte sich neben mich, dann schoben wir beide, bis der Stein endlich nachgab und ein hübsches Loch in der Wand freigab, gerade groß genug für ein Mädchen. Ich sah Kiera an und zuckte mit den Schultern. »Wird schon schiefgehen.« Und dann quetschte ich mich hindurch. Es war eng, mit den Schultern streifte ich an den Seiten entlang, aber es konnte ja nicht weit sein. In einem höhlenartigen Raum kam ich auf der anderen Seite heraus. Die Wände waren geschmückt mit Bildern wie aus einem Reisekatalog. Tja, Geschichte und Naturwissenschaft oder Geografie waren nun mal nicht meine Stärken, deshalb war meine bestmögliche Einschätzung: irgendwas Asiatisches.
Mir fielen die Dächer der
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