Blood Lily Chronicles 02 - Zerrissen
bei zehn, und ich war ganz geil auf einen richtigen Kampf. Von diesen Schlappschwänzen, die ich notfalls noch im Schlaf hätte erledigen können, hatte ich die Nase voll.
»Mehr«, forderte ich, verließ vorsichtig den Trainingsring und baute mich provozierend vor ihm auf.
Sanft legte er mir die Hände auf die Schultern. In seinen Augen stand unendliche Traurigkeit. Ich wandte den Blick ab, sowohl aus Angst, in eine Vision gesaugt zu werden, als auch aus einem seltsamen Schamgefühl heraus. »Lily, du willst nicht noch mehr.«
»Nicht? Soll ich nicht noch mehr umbringen? Ihre Essenz absorbieren? Eine gefürchtete Kämpferin werden?«
»Nein.«
Dieses eine Wort gab mir den Rest. Leise schluchzend schlang ich die Arme um ihn. »Ich hasse es«, flüsterte ich. »Ich hasse die dunkle Seite.« Aber das stimmte nicht. Ich hätte sie wirklich gern verschmäht, aber sie rief nach mir. Reizte mich. Und lockte mich mit süßen, leisen Versprechungen.
Zane sagte nichts, sondern strich mir übers Haar, doch sein Körper verriet Anspannung. Große Anspannung. Und unwillkürlich glaubte ich, dass auch er sie hasste. Verzweifelt wollte ich schon jede Vorsicht sausen lassen und ihn fragen, ob er wusste, für wen er tatsächlich arbeitete. Und wenn er es wusste, ob er es aus Überzeugung tat oder aus der Sehnsucht nach Sterblichkeit, die man ihm versprochen hatte. Aus Sehnsucht nach dem Tod für einen Mann, der seit Urzeiten gelebt hatte und andernfalls auf ewig weiterleben müsste.
Aber ich konnte es nicht. Ich war mir nicht sicher, ob aus Angst vor der Antwort oder davor, meine Tarnung aufzugeben. Ich wusste nur, ich hatte Angst, und ich schwieg.
»Bring das Mädchen nach Hause«, sagte er. »Ruh dich aus. Gönn dir ein Eis.« Er hob mein Kinn. »Sei eine Nacht lang einfach Lily.«
Ich quälte mir ein Lächeln ab. Dass ich nicht mehr wusste, wie ich das anstellen sollte, behielt ich für mich. Außerdem interessierte mich mein früheres Leben nicht sonderlich. Mich interessierte viel mehr, wir ich Rose ihr früheres Leben zurückgeben konnte. Und als mir dieses Problem so durch den Kopf ging, fiel mir ein, wohin oder, besser, an wen ich mich wenden musste, um vielleicht tatsächlich Hilfe zu bekommen.
Bis wir schließlich ein Taxi bekommen und mein Motorrad geholt hatten, war es schon fast zwei Uhr früh. Rose konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ihre Erschöpfung war fast mit Händen zu greifen. Nach Hause konnte ich sie allerdings nicht bringen. Ich musste dringend was erledigen. Und ich wusste nicht, wie viel Auszeit Clarence mir gönnen würde, wollte bis dahin aber alles möglichst im Griff haben.
»Wo fahren wir hin?«
»Wir lassen dich tätowieren.« Meine Worte überraschten mich selbst, doch dann wurde mir klar, warum sie mir herausgerutscht waren. Kurz nachdem ich in Alice’ Körper aufgewacht war, hatte ich mir meinen Namen - Lily - unten am Rücken eintätowieren lassen. Und jetzt, ja, jetzt hatte ich vor, Rose mit ihrem Namen zu kennzeichnen, ungeachtet ihres Eindringlings.
Ich hatte ein spezielles Studio im Sinn. Als wir dort ankamen, war ich froh, dass das Schild mit der Aufschrift Madame Parrish, Medium noch beleuchtet war. Sie war der wahre Grund für unseren Besuch. Denn während Rose auf der Liege Platz nehmen und John auf ihrer Haut seine magischen Fähigkeiten entfalten würde, könnte ich mich mit der seltsamen Frau unterhalten, ohne von Rose oder dem Dämon, der in ihr lebte, belauscht zu werden.
»Ja, wen haben wir denn da?«, begrüßte uns John, als wir das Studio betraten. Beim Anblick der Liege, auf die sie sich legen sollte, wurde Rose leicht blass.
»Willst du?«, fragte ich sie.
Einen Moment lang glaubte ich, sie würde sich weigern, und das machte mir mehr Sorgen, als gut war. Meine Mutter würde das hier vermutlich nicht billigen, aber ich wollte, dass sie das Tattoo bekam. Ihren Namen.
»Meinen Namen?«
»Genau.«
Sie holte tief Luft. »Tut es weh?«
»Ein bisschen.«
Sie presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie nicht mehr zu sehen waren. »Erst will ich deins sehen.«
Ich zog die Jacke aus und das Hemd hinten aus der Hose und zeigte ihr meine Tätowierung, eine detailgetreu gezeichnete Lilie und darüber mein Name.
»Ich bekomme eine Rose, oder? Und meinen Namen.«
»Klar. Alles, was du willst.«
Sie sah John an, dessen ungezwungenes Lächeln sie beruhigte. Sie nickte.
»Na, dann komm.« John reichte ihr die Hand.
Aus den Schatten am Fenster tauchte
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