Blood Lily Chronicles 02 - Zerrissen
unsterblich. Aber damals wusste das keiner. Am wenigsten ich.
Sie runzelte die Stirn. »Stimmt schon. Aber ist das nicht ein Grund mehr, wieder hinzugehen?« Ich lachte. Ich konnte nicht anders. Das war typisch Gracie.
Sie wurde rot. »Nein, ernsthaft! Dir kann nichts passieren, weil der Blitz bekanntlich nie zweimal an der gleichen Stelle einschlägt.«
»Es geht wirklich nicht.« Ich dachte an Rose und den Umstand, dass ich ab jetzt zu den Alleinerziehenden gehörte, die Babysitter brauchten. Beziehungsweise Dämonensitter, dachte ich und runzelte die Stirn.
»Jetzt komm schon, Alice! Dir müssen doch langsam die Ausreden ausgehen.«
Meine aktuelle Ausrede kam gerade in den Flur, die Haare zerrauft, bekleidet mit einem flauschigen Bademantel, den sie in der Taille zusammengebunden hatte. »Wer ist das?«, fragte Rose.
»Eine Freundin«, antwortete ich. »Gracie.«
Rose trat näher. »Ach. Hi! Ich bin Lilys Schwester.«
Gracie schaute erstaunt. »Die Schwester von wem?«
»Einer Freundin von mir«, erklärte ich schnell. »Sie ist vor Kurzem gestorben.« Ich hielt Rose eine Hand hin. Sie kam langsam zu mir herüber und nahm sie. »Das ist Lilys Schwester Rose. Ihr Dad macht gerade eine schwere Zeit durch, deshalb wohnt sie eine Weile bei mir und ...«
»Großer Gott, Alice! Es tut mir ja so leid! Erst stirbt deine Freundin, dann Egan, und ich will dich zu ’ner Sause überreden und ...«
»Nein«, unterbrach ich sie. »Dein Vorschlag gefällt mir. Eine prima Idee.« Und je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel sie mir. Dieses bisschen Normalität als Gegengewicht zur bedrückenden Gesamtsituation. Dieser kurze Moment, in dem ich lachen konnte und der mich daran erinnerte, warum es wichtig war, das Dunkel zu bekämpfen, das sich in mir ausbreitete und mich zu überwältigen drohte. »Ich würde gern kommen, aber ich kann Rose nicht allein lassen.«
»Selbstverständlich nicht«, nickte Gracie. »Nimm sie doch mit...«
Ich schüttelte den Kopf. »Mir ist gerade was eingefallen.« Und zwar Zane. Er hatte schon einmal auf Rose achtgegeben, und ich wusste, dass sich Johnson in Gegenwart des Unsterblichen ordentlich benehmen würde. Außerdem hätte ich dann einen Grund, mich noch mal mit ihm zu unterhalten, und als Anlass kam mir meine Schwester da gerade recht. »Nach der Arbeit«, sagte ich. »Nach der Arbeit gehen wir was trinken.«
»Das wird er gar nicht gern hören.« Rose blickte finster drein, nachdem Gracie uns verlassen hatte. Ich wusste auch ohne Clarence’ telepathische Veranlagung, dass sie nicht Zane, sondern Johnson gemeint hatte.
»Ach wirklich?«, erwiderte ich. »Tja, da kann ich ihm auch nicht helfen! Ich erledige für ihn die Drecksarbeit, aber ich bin nicht rund um die Uhr im Dienst. Er kriegt seine Schlüsselteile, mehr aber auch nicht. Mein Leben nicht. Meine Zeit nicht. Und dich schon gar nicht.«
Sie benetzte die Lippen. »Mich hat er schon.«
Ich stieß scharf den Atem aus. Ich war zu weit gegangen. »Ja«, gab ich zu. »Stimmt.« Ich nahm sie bei der Hand. »Aber ich lasse nicht zu, dass er dich behält!«
Rose nickte. Sie war blass, die Wangen eingefallen, die Augen riesig. »Er soll leiden«, flüsterte sie. »Das muss ich einfach loswerden, auch wenn er in mir ist und mich hören kann. Ich muss es hinausschreien. Er soll leiden. Ich will ihn töten.«
»Das weiß ich doch.« Mein Magen zog sich bei der Erkenntnis zusammen, dass meine Schwester - meine liebe, unschuldige Schwester - in ihrem Herzen jetzt Mordpläne hegte. »Das weiß ich doch«, wiederholte ich. »Aber diesen Teil musst du mir überlassen.« Das immerhin konnte ich für sie tun, auch wenn ich womöglich nicht in der Lage war, sie aus diesem Horror zu befreien. Und das würde ich auch tun. Großes Ehrenwort. Ich konnte es gar nicht mehr erwarten.
17
»Und dir macht es nichts aus?«, fragte ich Zane. Wir standen neben seinem Waffenschrank. Ich warf einen Blick zu Rose, die sich in Zanes Büro Videos anschaute. Mir fiel wieder ein, was Clarence mir einmal über Besessenheit erzählt hatte. Dass der menschliche Körper schwach war und so etwas nicht lange durchhalten konnte. Und ich hatte Angst, schreckliche Angst, dass es zu lange dauern würde, bis ich die Relikte alle zusammenhatte und sie Johnson zum Austausch für meine Schwester vor die Nase halten konnte. Dass ich eine Schwester zurückbekäme, die bereits unwiderrufliche Schäden davongetragen hatte.
Falls ich sie überhaupt
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