Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
belügt und enttäuscht, sondern der es ernst mit dir meint.«
Emilia schüttelte den Kopf. »Ach Henry, ich darf mich nicht irgendwelchen Wunschvorstellungen hingeben. Ich werde niemals mehr erlöst werden. Wer würde sich in eine so kaltherzige Frau verlieben, wie ich es geworden bin? In ein Mädchen, das keine wirklichen Gefühle mehr kennt, das mehr und mehr vergisst, was es einmal war ...«
»Jemand, der dein wahres Ich kennt«, antwortete Henry leise. »Jemand, der weiß, wie warmherzig du in Wirklichkeit bist, wie wunderschön deine Seele ist, so voller Liebe und Mitgefühl. Jemand, der gesehen hat, wie bitterlich du um etwas weinen kannst, wenn es dir wichtig ist.«
Emilia blickte ihn lange Zeit ernst und schweigend an. »Und du meinst, es gibt diese Person?«, fragte sie schließlich vorsichtig. »Einen Menschen, der es riskieren würde, sein Herz mit mir zu teilen?«
»Ich weiß es«, erwiderte Henry. »Ich weiß es sogar ganz sicher. Die Frage ist nur, ob du diesen Menschen erkennst, wenn es so weit ist, und ihn ebenfalls lieben wirst.«
In den darauffolgenden Tagen bemühte sich Henry, noch mehr Zeit als sonst mit Emilia zu verbringen. Er hoffte, dass er ihre Unbeschwertheit und Lebensfreude zurückholen konnte, indem er Spaziergänge und Ausflüge mit ihr unternahm und sie mit Neuigkeiten aus der Zeitung unterhielt. Tatsächlich gelang es ihm ab und an, ihren Augen ein neugieriges Aufblitzen zu entlocken, und dies waren für ihn die größten Momente des Glücks und des Erfolgs. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Emilia sich zurückbesann auf jene Tage, in denen sie unzertrennlich und glücklich gewesen waren, sie ihn umarmt und geküsst und ihm versichert hatte, wie lieb sie ihn hatte. Er wollte, dass sie sich an alles erinnerte, was wichtig und echt gewesen war. An ihn, an ihre gemeinsame Kindheit, an das, was sie miteinander erlebt hatten. Er hoffte, dass die Liebe zu ihm wieder in ihr erwachen und darüber hinaus noch wachsen möge, damit er sie irgendwann erlösen und ihr Retter sein konnte. Dieser Wunsch wurde von Tag zu Tag lauter in ihm und jedes noch so kleine Lächeln, jeder vermeintliche Blick von Emilias Seite ließ Henrys Herz höher und hoffnungsvoller schlagen.
»Ich muss dir etwas zeigen«, raunte Henry ihr eines Morgens nach dem Frühstück zu. Emilia, die heute wieder besonders verschlossen und in sich gekehrt wirkte, zog fragend die Augenbrauen hoch. Henry lächelte geheimnisvoll. »Du musst mitkommen, es ist draußen.«
Emilia folgte Elenry, ohne besondere Begeisterung oder Neugierde zu zeigen, aber er war sicher, dass sich dies ändern würde, sobald sie seine Entdeckung sehen würde. Sie liefen die Straße entlang, bis sie den kleinen nahe gelegenen Laubwald erreichten, zwischen dessen mächtigen Eichen sie als Kinder oft gespielt hatten. Sie hatten den ganzen Weg über kein Wort gewechselt. Erst als Henry stehen blieb, brach Emilia das Schweigen. Sie sah sich stirnrunzelnd um. »Was gibt es denn hier schon Besonderes?«
Henry ignorierte ihren gereizten Unterton, machte ein paar vorsichtige Schritte auf einen der dicht belaubten Büsche zu und schob die Äste auseinander. »Komm her, Emilia, sieh dir das an.«
Emilia lugte über seine Schulter. In einem Nest saßen eng aneinandergekuschelt drei kleine Rotkehlchen. Sie rissen ihre Schnäbel auf und piepsten, so laut es ihre zarten Stimmchen vermochten.
»Na, was sagst du dazu?« Henry sah Emilia erwartungsvoll an. Erinnerte sie sich an jenen ganz besonderen Tag auf dem Landsitz der Familie, an dem sie sich nähergekommen waren als je zuvor? Wusste sie, was er ihr damit sagen wollte?
Zuerst reagierte Emilia nicht und Henry glaubte zu sehen, wie es heftig in ihr arbeitete. Doch dann, endlich, stahl sich ein feines, kaum merkliches Lächeln auf ihre Lippen und ihre Augen glänzten. Beinahe andächtig neigte Emilia den Kopf, um das Nest und seinen Inhalt zu betrachten. Schließlich seufzte sie. »Ihr armen Kleinen«, murmelte sie und das Lächeln verschwand wieder aus ihrem Gesicht. »Ihr werdet hier nicht lange überleben. Entweder fallt ihr aus dem Nest oder euren Eltern stößt etwas zu, sodass sie euch kein Futter mehr bringen können und ihr kümmerlich verhungern müsst. Hunger ist etwas Schreckliches. Gewöhnt euch lieber erst gar nicht an das Leben. Es ist nur Lug und Trug und geht schneller vorüber, als ihr denkt.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte, ohne auf Henry zu warten, den Weg zurück,
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