Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
entfernte sich nur wenige Schritte von den Waldwegen, um sich nicht zu verlaufen. Dennoch konzentrierte er sich auf jede Regung. Endlich glaubte er, ein Rascheln zu vernehmen, und blieb stehen.
»Emilia, da vorne ist etwas«, flüsterte er. »Siehst du, es bewegt sich direkt auf uns zu. Am besten, du rührst dich nicht von der Stelle und wartest ab, bis nur noch ein paar Meter ... Emilia? Emilia!«
Sie war nicht mehr hinter ihm.
»Emilia! Emilia, wo steckst du?« Seine Rufe verhallten in der Dunkelheit und ließen das Tier vor ihm die Flucht ergreifen. Keine Antwort. Henry drehte sich im Kreis, er spürte Panik in sich aufsteigen, verfluchte sich, dass er nicht mit mehr Nachdruck versucht hatte, Emilia umzustimmen. Sosehr er seine Sinne auch anstrengte, er konnte weder etwas von dem Mädchen sehen noch hören.
Erst nachdem er ein großes Stück Weges zurückgelaufen war, vernahm er plötzlich ein Geräusch im Dickicht. Ein seltsames ... Saugen oder besser gesagt, Schmatzen. Henry blieb stehen und lauschte. Obwohl er das Geräusch nicht einordnen konnte, lief ihm ein Schauer über den Rücken, kalt und Angst einflößend wie eine böse Vorahnung. Und als er sich schließlich einige Schritte ins Unterholz wagte, zeichneten sich ihre Umrisse im fahlen Licht des Mondes ab: Emilia kniete mit einem Bein auf dem Boden einer kleinen Lichtung, das andere war auf einen leblosen Leib gestemmt. Henry konnte nicht erkennen, um welches Tier es sich handelte, in das sie ihre Zähne gegraben hatte.
Es war bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Dustin betrachtete May prüfend von der Seite. Er kannte sie - zumindest glaubte er, zu wissen, wenn es ihr gut oder schlecht ging oder wenn sie nervös war, so wie jetzt. Sie war keine gute Lügnerin und konnte es nur schwer verbergen, wenn sie etwas beschäftigte.
»Hast du irgendetwas auf dem Herzen?«, fragte er vorsichtig. »Willst du mir etwas anvertrauen?«
May lächelte. »Ich glaube, es gibt so einiges, worüber wir reden müssten«, erwiderte sie, ohne direkt auf seine Frage einzugehen. »Ich weiß nur nicht, wo wir anfangen sollen.«
Dustin schluckte. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr verwunderte es ihn, dass May auf freiem Fuß war. Immerhin hatte sie Jonathans Geheimnis gelüftet und dieser hatte es herausgefunden. Augenblicklich beschlich Dustin ein mulmiges Gefühl und Zweifel stiegen in ihm hoch. Hatte Jonathan May vielleicht erpresst? Sollte sie möglicherweise irgendetwas für ihn erledigen oder herausfinden? Musste er vorsichtig sein, wenn er ihr etwas erzählte?
»Wo steckt Jonathan?«, fragte Dustin ohne weitere Umschweife. »Oder besser gesagt ... Henry, wie du ja mittlerweile selbst weißt.«
May sah ihn einen Moment lang schweigend an, bevor sie antwortete: »Ich weiß es nicht. Ich halte mich von ihm fern und auch er scheint sein Interesse an mir verloren zu haben, aber ... Als ich ihn zuletzt gesehen habe, schien er mehr als verzweifelt, um nicht zu sagen, er stand völlig neben sich. Ich glaube, er steckt selbst in der Klemme. Zum einen sorgt er sich nach wie vor um Sarah, zum anderen hat er Angst vor Emilias Willkür und davor, dass sie sowohl ihr als auch ihm etwas antut.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur von Glück sagen, dass er mich hat laufen lassen, nachdem ich seine Briefe gelesen habe und hinter sein wahres Ich gekommen bin. Anscheinend sieht er keine ernsthafte Gefahr in mir oder er hat Gewissensbisse, weil er damals Simon an Emilia ausgeliefert hat. Er dachte ... du wärst es.«
Dustin nickte. »Ich weiß, Simon und ich wurden in Chicago verwechselt. Ich hätte eigentlich das Opfer werden sollen, nicht er. May, es gibt keine entschuldigenden Worte für all das, aber ... Es tut mir ehrlich leid. Simon war deine große Liebe, er hat dich - im Gegensatz zu mir - glücklich gemacht. Und dann wurde er dir auf so schreckliche Weise wieder genommen. Das ist ... unfassbar.« Dustin merkte zu seiner Verwunderung, dass es nicht nur leere Worte waren, die aus seinem Mund kamen, sondern dass er wahres Mitleid für May empfand. Und das, obwohl er wieder unsterblich war und dieses Gefühl schon lange nicht mehr verspürt hatte. Seltsam, dachte er ... und schön.
Mays Lippen zitterten, trotzdem klang ihre Stimme gefasst, als sie ihm antwortete: »Du kannst nichts dafür, Dustin. Es war eben ... Schicksal, und ich muss dankbar sein, dass ich meiner wahren Liebe begegnen durfte.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wer weiß, vielleicht
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