Blood Shot
Sekretärin. Als er mich sah, hellte sich sein rosa Gesicht auf. »Ach, du bist's, Vic.«
Ich grinste. »Hat Gloria angerufen, um dich zu warnen, daß ein Wirbelsturm unterwegs ist, um dein Büro zu verwüsten und dir die goldenen Haare vom Kopf zu reißen?«
»Was davon noch übrig ist«, sagte er wehmütig. Er war tatsächlich halb kahl geworden und sah aus wie ein Mönch. Während des Studiums war er ein stiller Idealist gewesen. Studenten wie ich - die sich, wie es ein konservativer Richter einmal ausdrückte, aus ihren liberalen Zwangsjacken nicht befreien konnten - hatten nichts Besseres vor, als so schnell wie möglich Pflichtverteidiger zu werden, Jonathan aber hatte sich, still wie immer, dem Sozialrecht zugewandt, hatte zwei Jahre in einem Bundessozialgericht Protokoll geführt und war dann ins Arbeitsministerium übergewechselt. Jetzt war er einer der ranghöchsten Juristen des Bezirks Chicago. Er führte mich in sein Büro und schloß die Tür. »Auf mich wartet ein Dutzend Anwälte aus St. Louis. Kannst du mir in dreißig Sekunden erklären, was du willst?«
Ich tat mein Bestes. »Ich will wissen, ob es über Ferraro und Pankowski irgendwelche Hinweise gibt, im Arbeits- oder Justizministerium. Über die Sabotage und das Gerichtsverfahren.« Ich schrieb ihm die Namen auf und setzte auch Louisa Djiaks dazu. »Vielleicht war sie beteiligt. Ich will dir jetzt nicht die ganze Geschichte erzählen. Nur soviel, die Informationen habe ich von Gustav Humboldt persönlich. Er will nicht, daß irgend etwas davon an die Öffentlichkeit dringt.«
Während ich noch sprach, nahm Jon athan den Telefonhörer auf. »My ra, schick Dutton rüber. Ich hab' Arbeit für ihn.« Er erklärte die Sache mit ein paar Worten und legte auf. »Vic, das nächste Mal tu mir bitte einen Gefallen. Ruf an, bevor du reinschneist.«
Ich küßte ihn auf die Wange. »Mach' ich, Jonathan. Aber nur, wenn ich es mir leisten kann, zwei Tage lang am Telefon zu hängen. Ciao, ciao, bambino.«
Er war weg, ehe ich es bis zum Empfang geschafft hatte. Als Gloria mich sah, begann sie wieder, wie wild zu tippen. Einem boshaften Impuls folgend, wartete ich eine Weile, und ging dann erst weiter. Sie las den Herald-Star.
»An die Arbeit«, sagte ich streng. »Die Steuerzahler erwarten Wertarbeit für ihr Geld.«
Sie warf mir einen angeekelten Blick zu. Schmunzelnd betrat ich den Aufzug. Ich hoffe, daß ich eines Tages diese pubertären Freuden überwinden werde.
Die vier Blocks zu meinem Büro legte ich zu Fuß zurück. Vom Auftragsdienst erfuhr ich, daß Nancy Cleghorn zweimal angerufen hatte. Einmal früh am Morgen, als ich am See in Selbstmitleid gebadet hatte, das zweite Mal vor zehn Minuten - beide Male selbstverständlich ohne eine Nummer zu hinterlassen. Seufzend zog ich das Telefonbuch unter einem Papierstapel auf dem Fensterbrett hervor. Auf dem Telefonbuch hatte sich eine dünne Schicht Ruß abgelagert, die ich säuberlich auf der Vorderseite meines grünen Wollkleides verteilte.
Nancy war die Umwelt-Frau von Carolines Planungsgruppe. Ich sah unter SCRAP nach, was Zeitverschwendung war, denn natürlich stand die Nummer unter South-Chicago-Reaktivierungs-Projekt. Dort anzurufen, war ebenfalls Zeitverschwendung, denn Nancy war nicht da, hatte sich heute auch noch nicht blicken lassen, man hatte keinen blassen Schimmer, wann sie aufkreuzen würde. Und nein, ihre Privatnummer wollten sie mir nicht geben, vor allem deswegen nicht, weil ich behauptete ihre Schwester zu sein, wo doch alle Welt wußte, daß sie nur vier Brüder hatte, und wenn ich sie jetzt nicht sofort in Ruhe ließ, würden sie die Polizei rufen.
»Können Sie ihr wenigstens etwas ausrichten? Ohne die Polizei einzuschalten?« Zweimal buchstabierte ich langsam meinen Namen - ohne zu glauben, daß es etwas nützen würde, wahrscheinlich machten sie Watchski daraus oder eine andere häßliche Mutation. Die Sekretärin sagte, sie wolle dafür sorgen, daß Nancy meine Nachricht bekomme, allerdings in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, daß sie sie sofort, nachdem ich aufgelegt hätte, in den Papierkorb werfen würde.
Ich griff wieder nach dem Telefonbuch. Nancy Cleghorn stand nicht drin, aber Ellen Cleghorn wohnte noch immer in der Muskegon Avenue. Mit Nancys Mutter zu sprechen, war eine angenehme Abwechslung nach all den harschen Tönen des Vormittags. Sie erinnerte sich gut an mich, las alles, was über mich und meine Fälle in den Zeitungen berichtet wurde, und bat
Weitere Kostenlose Bücher