Blood Sun
anflehte.
»Du hast dein Leben selbst in der Hand.«
Was das bedeutete, war klar. Entweder überwand der Pilot seine Angst und flog mit dem Killer ins Verderben oder er starb an Ort und Stelle.
Der Pilot startete die Maschine.
Max blickte nach oben. Die Höhle war etwa hundert Meter hoch. In dem Kalkstein hatten sich Stalaktiten gebildet, die ihn unwillkürlich an die spitzen Zähne der Boa constrictor denken ließen. Es drang nur sehr wenig Licht herein und der Dunst machte die Höhle erst recht zu einem gespenstischen und abweisenden Ort. Max war klar, dass seine Fantasie sein ärgster Feind sein konnte. Der Nebel zog vom Fluss in die Höhle und war nur bis zu einer bestimmten Tiefe in die Düsternis vorgedrungen. Wenn der Dunst in den Tunnel gezogen wurde, musste es auf der anderen Seite ebenfalls eine Öffnung geben. Und genau dort wollte er hin.
Er ließ das Holz des Ocote-Baums und die getrockneten Wurzeln fallen, die er vor dem Betreten der Höhle gesammelt hatte, und setzte sich hin. Mit dem Panga-Messer schabte er Späne von dem Holz ab und wickelte sie in die feinen Wurzeln, die er aus dem Regenwaldboden gerissen hatte. Geschickt bastelte er sich so eine Fackel, zwischen deren Schichten genügend Luft kam. In der modrigen, stickigen Atmosphäre der Höhle würde eine Flamme ohne diese Sauerstoffpolster schnell ausgehen. Als er schließlich mit seinem Werk zufrieden war, legte er die stabile Fackel neben sich. Er öffnete eins der in Blätter gewickelten Essenspäckchen, die Flint ihm im Dorf gegeben hatte, und kaute auf etwas herum, was er nicht identifizieren konnte. Dann wickelte er eine Hülse aus, die so groß wie ein kleines Ei war, leckte daran und biss begeistert hinein. Es war reiner Kaka o – ein schneller und köstlicher Energielieferant, der ihm zugleich Mut einflößte. Anschließend spülte er den Mund mit Wasser aus.
In dem Kalksteinstaub kniend, schlug er mit der Klinge des Panga auf die Steinspitze des Speers. Funken sprühten auf und beim dritten Versuch brachte er die Fackel zum Brennen. Das Feuer spendete ihm Trost, während er in den Rachen der Bestie hinabstieg.
Anfangs wölbte sich die Höhlendecke hoch über ihm, doch je weiter er kam, desto niedriger wurde der Gang. Der Schein der Fackel beleuchtete die riesigen Stalaktiten, die nun bis zum Boden ragten.
Die Länge dieses Gebirgszugs und damit die Zeit, die er brauchen würde, um auf die andere Seite zu gelangen, ließen sich nicht abschätzen. Mit einem Mal hörte er, wie etwas unter seinen Schuhen knirschte. Er senkte die Fackel und erkannte die Umrisse von Menschenknochen. Max hockte sich hin und wischte den Staub von den Überresten. Die Knochen zerfielen unter seinen Fingern. Vielleicht waren sie schon sehr alt. Bei genauerem Hinsehen fiel ihm auf, dass diese Menschen offenbar versucht hatten, zum Eingang der Höhle zu krieche n – in Reichweite der knochigen Fingerreste lag ein zerbrochener Tontopf. Hatten sie fliehen wollen? War ihnen das Essen ausgegangen? Oder waren sie an der entsetzlichen Dunkelheit gescheitert?
Max konnte nicht voraussehen, ob der Gang irgendwann so eng werden würde, dass er nicht mehr weiterkam. Ob er von dort aus zurückfinden würde, war fraglich. Die Höhle war wie ein riesiges Grab. Max wollte nicht allein und im Dunkeln sterben, wenn früher oder später seine Fackel ausging. Er fragte sich, ob er wirklich weiterlaufen sollte. Er malte sich aus, wie die Fackel ein letztes Mal aufflackerte und dann erlosch. In der Finsternis würde er sich nicht zurechtfinden. Seine Hilferufe würden nicht nach draußen dringen und er müsste hier elendig verrecken. Und eines Tages würde ein Forscher seine Gebeine finden.
»Halt die Klappe!«, schrie er die nagende Stimme in seinem Kopf an. »Das wird nicht passieren!« Danach ging es ihm deutlich besser.
Das verzerrte Echo hallte von den Felswänden wider und dann vernahm Max noch etwas. Das Geräusch war anfangs gedämpft, wurde aber immer klarer. Jemand rief seinen Namen.
Orsino Flint japste. Das anstrengende Klettern über den unebenen Höhlenboden forderte seinen Tribut.
»Du rennst ja wie eine Bergziege«, schimpfte er mit Max. Seine eigene Fackel vermehrte die flackernden Schatten.
»Und du riechst auch nicht besonders gut, Cousin«, fügte Xavier hinzu.
Max grinste. »Das ist mein spezieller Dschungelduft«, sagte er. Er war unendlich glücklich darüber, dass die beiden ihn auf seiner gefährlichen Mission begleiteten. »Mit deinen Kumpels
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