Blood Sun
zurück. »Ich will nicht, dass du daran rummachst. Bist du jetzt etwa auch noch Arzt oder was?«
»Okay. Ich wollte nur nachschauen, ob sie sich infiziert hat. Wenn du an einer Blutvergiftung sterben möchtest, ist das deine Sache.«
Xavier machte ein besorgtes Gesicht. Er zog das verschwitzte T-Shirt hoch und sah sich die Wunde selbst an. »Du meinst, sie ist infiziert?«
»Wenn du mich nicht nachsehen lässt, kann ich das nicht sagen.«
»Aber nicht anfassen. Versprochen?«
»Versprochen. Als die Freunde deines Bruders dich zusammengeflickt haben, hast du nicht so rumgejammert.«
»Ich? Ich bin doch kein Baby. Hier, du kannst es dir ansehen!« Er schlüpfte aus dem Oberteil und kniete sich neben Max in den Sand.
Der Verband war längst abgegangen und einer der Clips hatte sich von der Haut gelöst, die zwar ziemlich runzlig, aber sauber war. Womöglich hatte das Salzwasser die Heilung sogar noch unterstützt. Dennoch konnte Max deutlich die rote Linie erkennen, die vom Wundrand ausging und sich fast bis zum Rücken zog. Max nahm an, dass die Wunde unter der Haut eiterte. Wenn sie mit dem Flusswasser in Kontakt kam, würde sich die Infektion wahrscheinlich bald im ganzen Körper ausbreiten.
»Tut das weh?«, fragte Max und drückte sehr vorsichtig auf die Stelle.
Xavier schrie auf. »Du hast gesagt, du fasst mich nicht an!«
Max sah ihn ernst an. Er war darauf angewiesen, dass Xavier stark genug wa r – besonders für das, was er ihm vorzuschlagen hatte.
»Du bist tougher, als ich gedacht habe«, sagte Max.
»Ja? Ähm, ja klar bin ich tough.« Doch nach kurzem Nachdenken fragte er: »Warum?«
»Die Wunde ist infiziert. Das muss doch wehtun. Du hast kein Wort gesagt.«
Xavier hatte keine starken Schmerzen, verzog aber das Gesicht. Max sollte ruhig glauben, dass er alles andere als ein Weichei war. »Tut nicht so weh.«
»Aber wenn sich die Infektion ausbreite t …« Max schüttelte traurig den Kopf und wandte sich ab.
»Was? Ist es so schlimm?«
»Dann könnte ich dich nicht von hier wegbringen. Ich müsste dich hierlassen.«
»Was?«
»Ich schicke dir so schnell wie möglich Hilfe.«
»Niemals! Wenn du gehst, geh ich auch. Das haben wir abgemacht. Ich hab dir gesagt, dass ich mitkomme.«
Max legte ihm einen Arm um die Schulter. »Gut. Ich habe gehofft, dass du das sagst. Also, darf ich dir jetzt helfen?«
Xavier schwante nichts Gutes, aber nun kam er da nicht mehr raus.
»Okay«, sagte er ergeben.
Max wälzte einen vermoderten Baumstamm zur Seite und stocherte mit seinem stahlbewehrten Holzstück darin herum, um sicherzugehen, dass sich keine Schlangen darunter verbargen. Danach schlug er mit seiner neuen Axt die morsche äußere Schicht des Stammes auf und fand, was er suchte. Sorgfältig sammelte er die wimmelnden Maden ein und legte sie auf ein Palmenblatt. Das war Nahrung und Medizin.
Xavier lag auf der Seite und hielt sich mit einem Arm die Augen zu. Max hatte ihm gerade erklärt, dass Maden viel Eiweiß enthalten und essbar sind, vorausgesetzt sie stammen nicht von einem verwesenden Tierkadaver. Xavier hatte sich fast so gewunden wie die Maden selbst, und jetzt hielt er sich die Augen zu, weil Max zwei oder drei Stück in den Mund genommen hatte un d – wenn auch nicht allzu fröhlic h – darauf herumkaute.
»Gar nicht so übel«, log Max und grinste. »Gekocht schmecken sie bestimmt noch viel besser, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.«
»Ich werde diese Dinger nicht essen. Ich kotze, wenn du mir die in den Mund steckst. So hast du noch nie einen kotzen sehen. Lieber sterbe ich.«
»Ich habe auch nicht angenommen, dass du sie essen willst. Die sind für deine Wunde gedacht. Etwas zu essen besorge ich uns später.«
Xavier murmelte eine Art Mantra, das sich wie ein Gebet anhörte, um nicht an die Viecher denken zu müssen, die sich in sein Fleisch hineinfraßen. Er spürte aber kaum mehr als ein leichtes Kitzeln, als sie in die Wunde eindrangen. Trotzdem wollte er nicht hinsehen und lieber so liegen bleiben, bis dieser verrückte englische Junge ihm sagte, es sei alles in Ordnung. Eigentlich sollte er jetzt schon, ausgestattet mit einem neuen Namen und einer neuen Identität, in Miami oder New Orleans oder sonst wo in den Vereinigten Staaten sein. Er und Alejandro hätten viel Geld auf dem Konto gehabt und in offenen Sportwagen durch die Gegend düsen können. Das wäre ein gutes Leben gewesen, ein Leben in Sicherheit und Legalität. Doch dann war alles ganz
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