Blood Target: Thriller (German Edition)
in der Minderheit befand. So wie in Bezug auf das Kino ganz allgemein. Harold Lloyd, den hatte er früher ganz gerne gesehen, aber grundsätzlich waren ihm Bücher sehr viel lieber als Filme. Die Spezialeffekte waren einfach realistischer.
Es war Freitagabend, 19.45 Uhr Ortszeit. Die Dunkelheit hatte gerade eingesetzt. Er war heute Morgen in Reykjavik losgeflogen und über Helsinki und Amsterdam schließlich nach London gelangt. Er ging nicht davon aus, dass Muir, aus welchem Grund auch immer, versuchen würde, ihn zu bespitzeln, aber er wusste, dass die peinlich genaue Einhaltung seiner Vorsichtsmaßnahmen ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Und wie oft das der Fall gewesen war, ohne dass er es überhaupt wusste, ließ sich nur ahnen. Je länger er am Leben blieb, desto mehr Feinde machte er sich. Je mehr Feinde er hatte, desto größer wurde die Bedeutung seiner Verhaltensregeln und desto katastrophaler die Folgen, wenn er sich nicht daran hielt.
Klatschen und Jubelrufe ertönten aus der Menge, als der Star des Films jetzt aus einer Limousine stieg. Victor klatschte auch. Er kannte nicht einmal den Namen des Mannes.
»Ich persönlich finde ihn ja ein bisschen hölzern«, ließ sich da eine weibliche Stimme neben Victor vernehmen.
Er drehte sich um und tat so, als hätte er Muirs kreisförmige Annäherung durch die Menge nicht Zentimeter für Zentimeter mit verfolgt.
»Aber«, fügte sie hinzu, »wen interessiert das schon bei einem so attraktiven Mann?«
»Anscheinend niemanden.«
»Gehen Sie gern ins Kino?«
»Auf jeden Fall«, erwiderte Victor. »Wer nicht?«
Sie sah ihn einen Augenblick lang an und fragte sich, ob sie seine Worte ernst nehmen sollte oder nicht. Dann sagte sie: »Wollen wir ein Stückchen gehen?«
»Kann Ihr Team mich in der Menge nicht so gut im Auge behalten?«
»Ich bin allein gekommen.«
»Aber natürlich.«
Er wusste, dass sie allein gekommen war. Aber er wollte nicht, dass sie das wusste, aus demselben Grund, aus dem sie nicht wissen sollte, dass er sie schon lange entdeckt hatte. Ganz egal, wie diese aktuelle Sache ausging, es gab keine Garantie, dass er nicht irgendwann auf der anderen Seite stand. Je weniger sie über seine Arbeitsweise und seine Fähigkeiten wusste, desto besser standen seine Chancen in der hypothetischen Zukunft. Was nicht gegen Muir persönlich gerichtet war – sie spielte nicht in seiner Liga –, sondern gegen die Organisation, für die sie arbeitete, und diejenigen Mitarbeiter, die ihm ebenbürtig waren.
»Ich habe niemanden sonst dabei«, sagte Muir. »Ganz ehrlich.«
»Okay, ich glaube Ihnen«, sagte Victor und ließ es klingen, als glaubte er ihr nicht. »Gehen wir ein Stück.«
Er wusste nicht genau, wann die zuständigen Stellen in London die Entscheidung gefällt hatten, sich George Orwells 1984 zum Vorbild zu nehmen, aber London war mit Sicherheit eine der bestüberwachten Städte der Welt. Überall hingen Überwachungskameras, und die Anzahl der Straßen, die Victor bevorzugt benutzte, schrumpfte mit jedem Besuch und jeder frisch installierten Kamera weiter zusammen. Doch trotz dieses Risikos bot die riesige Stadt immer noch sehr viel Anonymität.
Er führte Muir durch ein paar gepflasterte Seitenstraßen und Gassen, bis sie das West End mit all den Partygängern und Touristen und schlecht gelaunten Londonern, die jeden verachteten, der noch ein echtes Lächeln zustande brachte, hinter sich gelassen hatten.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Leeson Kooi eine E-Mail geschickt hat?«, eröffnete Victor das Gespräch.
Muir nickte. Sie ging neben ihm her, direkt an der Gehwegkante, weil er ihr keinen anderen Platz ließ. Er rechnete zwar nicht mit einer Attacke aus einem vorbeifahrenden Auto oder von der gegenüberliegenden Straßenseite, aber manche Gewohnheiten waren so tief im Unterbewusstsein verankert, dass sie sich nicht wieder ändern ließen.
»Die E-Mail stammt von derselben Adresse wie die vorhergegangene«, erläuterte Muir. »Die Betreffzeile lautet: ›Zweites Date‹. Sie müssen wohl einen guten Eindruck hinterlassen haben.«
»Wann?«
»Sobald Sie es einrichten können, heißt es im Text.«
»Wo?«
Muir schüttelte den Kopf. »Dieses Mal ohne Ortsangabe. Dafür mit einer Telefonnummer.«
Victor nickte. »Das klingt logisch. Er kennt mich jetzt. Eine zweite persönliche Begegnung ist nicht nötig, zumal die erste nur dazu da war, Koois Zuverlässigkeit zu testen. Sie haben die Nummer ja wahrscheinlich
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