Bloodcast 01 - Cast & Crew
du mich lange nicht mehr genannt.«
»Ich weiß.«
»Was ist nur auf einmal los mit dir, Shani? Du bist so … so distanziert.«
»Ja, stimmt.« Sie nickte abermals. »Und es tut mir wirklich leid. Das hast du nicht verdient.«
»Verdammt richtig, das hab ich nicht verdient!«, unterstrich er. »Und jetzt sag mir endlich, was los ist! Warum fängst du auf einmal an, dich für Mode zu interessieren?«
Sie seufzte. »Das ist es ja, was ich dir die ganze Zeit zu sagen versuche. Ich beschäftige mich bereits seit einer ganzen Weile damit. Das ist dir nur entgangen, weil du dich nicht mit mir beschäftigst.«
»Aber … Ich kenne dich in- und auswendig! Wir sind in derselben Straße aufgewachsen, sind zusammen zur Schule gegangen …«
»… und das ist dein Bild von mir«, vervollständigte sie seinen Satz. »Du siehst mich als das Schulmädchen mit dem schwarzen Zopf, das Musik von Bands hört, die sonst keiner kennt, und das gern Fast Food futtert.« Sie machte eine Handbewegung, die nicht nur ihr Tablett, sondern das ganze Lokal einschloss. »Aber das bin ich nicht mehr«, fügte sie leiser hinzu.
»Aha. Hast du dir deshalb die Haare neu machen lassen zu diesen … diesen …«
»Dreadlocks«, half sie aus und musste lächeln. »Nein, eigentlich nicht. Ich weiß, dass du glücklich bist, so wie die Dinge sind. Ich schäme mich fast, es dir zu sagen - aber mir genügt das nicht. Verstehst du, was ich meine? Ich will nicht eines Tages zurückblicken und mir eingestehen müssen, dass ich in meinem Leben mehr hätte erreichen können. Dass ich mehr hätte wagen sollen.«
»O Mann!« Dirk verdrehte die Augen. »Ist das wieder so ’ne Weisheit von deinem Vater? Steckt er dahinter?«
»Nein«, versicherte sie, während sie sich unbewusst übers Haar strich. Die vielen kleinen Zöpfe fühlten sich noch immer ungewohnt an, aber auch irgendwie richtig. »Papa hat nichts damit zu tun. Aber er ist nun mal ein Teil von mir, ebenso wie das Land, aus dem er kommt. Dort planen die Menschen nicht. Sie lassen sich vom Leben treiben und probieren Dinge einfach aus.«
»Ja«, konterte Dirk mit freudlosem Grinsen. »Das ist der Grund dafür, warum sie bis zum heutigen Tag in Strohhütten hocken und ihre Zeit am liebsten damit verbringen, sich in blutigen Bürgerkriegen gegenseitig umzubringen.«
»Ist das deine Meinung, ehrlich?«, fragte sie.
»Nein, verdammt! Ich … Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll«, gestand Dirk. Sein Sarkasmus schlug in Hilflosigkeit um. »Ich meine, wenn du dich da bewirbst und tatsächlich genommen wirst, dann bist du für ein halbes Jahr fort, nicht wahr? Was wird dann mit deinem Examen?«
Shani zuckte mit den Schultern. »Es wird warten müssen.«
»Und … Und was wird aus uns?«
Nun waren sie beim Kern der Sache angelangt.
Shani wusste es, und die Art, wie Dirk sie ansah, verriet ihr, dass auch er es wusste. Tränen standen ihr plötzlich in den Augen.
»Keine Ahnung«, erwiderte sie leise, fast flüsternd. »Ich weiß nur, dass ich es versuchen muss.«
»Ich verstehe.«
Eine Weile saßen sie nur da und blickten einander über den Tisch und die von leeren Pappschachteln und zerknüllten Servietten übersäten Tabletts hinweg an.
Dann stand Dirk auf.
»Wohin willst du?«, fragte sie.
»Nach Hause«, eröffnete er ihr barsch. »Ich habe eine Prüfung, für die ich lernen muss. Wir können schließlich nicht alle Fotomodelle werden, oder?«
»Aber darum geht es mir doch gar nicht! Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich überhaupt in die Endausscheidung komme!«
»Das spielt keine Rolle«, war Dirk überzeugt. »Denn ganz gleich, ob du gewinnst oder verlierst - deine Entscheidung hast du schon getroffen.«
Damit wandte er sich ab und verließ das Lokal.
Und Shani wusste, dass es vorbei war.
*
Als Shani ihren Namen hörte und den aufbrandenden Applaus, konnte sie kaum glauben, dass der Beifall tatsächlich ihr galt. Daher zögerte sie, hinaus vor den Vorhang zu treten. Dann jedoch zischte ihr jemand etwas ins Ohr und stieß sie unsanft nach vorn. Im nächsten Moment fand sie sich im grellen Scheinwerferlicht wieder, dort, wo der Laufsteg begann, der schnurgerade durch die wogende, tosende Menge führte.
Es fühlte sich unwirklich an.
Shani wartete darauf, dass jemand sie kniffe und sie aus diesem seltsamen Traum erwachte. Aber nichts dergleichen geschah. Also tat sie einen ersten Schritt, einen zweiten - und dann übernahm ihr Instinkt, ohne dass ihr bewusst gewesen wäre,
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