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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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zitiert Shakespeare und Hamlets Monolog. ›Sein oder Nichtsein.‹ Das wiederholt er zweimal. Deutschland blieb nichts anderes übrig, und so zogen Millionen Männer in den Krieg, überzeugt, daß dem tatsächlich so war, um dann herauszufinden, daß ihnen ›Nichtsein‹ bevorstand. Erbärmliche Romantik. Niemand war zu rationalem Denken imstande. Die Vernunft fiel in Tiefschlaf, und dieser Schlaf gebar ein Ungeheuer, Adolf Hitler. Und natürlich Lenin, auch so ein Ungeheuer. Und was haben wir für Britannien erreicht? Was?«
    Darauf wußte der Dekan keine Antwort. Das melancholische Interesse seines Gastgebers an der Geschichte teilte er nicht. Für seinen Geschmack war sie zu abstrakt. Britannien war immer noch das beste Land der Welt. »Vermutlich haben wir die Welt vor der Barbarei gerettet«, sagte er.
    Lapschott musterte ihn sardonisch lächelnd. »Zweifellos vor einer Variante der Barbarei. Oder vor zwei. Aber offenbar ist sie heutzutage allerorten vorzufinden. Ich dachte eher an das, was Britannien verloren hat. Oder weggegeben. Damit meine ich nicht das Weltreich. Nein. Wir haben den Japanern den Weg geebnet, damit sie das werden konnten, was wir einmal waren.«
    »Den Japanern den Weg geebnet, damit sie das werden konnten, was wir einmal waren?« sagte der verblüffte Dekan. »Das englischjapanische Bündnis von 1902. Die Japaner sollten unsere Interessen im Fernen Osten absichern, damit unsere Pazifikflotte die Britischen Inseln schützen konnte. Wir haben sie als ebenbürtig behandelt, und sie hielten ihren Teil der Abmachung ein, als sie 1914 Deutschland den Krieg erklärten und den gesamten deutschen Besitz im Pazifik übernahmen. Sehr vernünftig. Ein Inselvolk wie wir, eine seefahrende Nation, die immer noch unserem Beispiel folgte, als sie ohne vorherige Kriegserklärung die russische Flotte bei Port Arthur versenkte.« »Heimtückische Teufel«, sagte der Dekan entrüstet. »Genau wie in Pearl Harbor.«
    »Und Nelson hat die neutrale dänische Flotte vor Kopenhagen versenkt. Und Churchill bediente sich 1940 gegen die Franzosen vor Dakar genau dieser Methode. Wenn man vergleicht, verlief das fast immer nach dem identischen Muster. Was glauben Sie denn, warum uns die Franzosen bereits im siebzehnten Jahrhundert perfides Albion nannten? Weil wir heimtückisch waren.«
    »Das Zitat stammt von Napoleon«, wandte der Dekan ein, doch Lapschott schüttelte den massigen Kopf. »Es stammt von Bossuet, in einer seltsamen Predigt über Beschneidung.«
    Der Dekan aß sein Lamm auf. Er fand dieses Gespräch höchst unangenehm. Er war gekommen, um sich wegen eines neuen Rektors beraten zu lassen, und behandelt wurde er wie ein Erstsemestler in einem Tutorium. Schlimmer noch, der Mistkerl konfrontierte ihn mit einem so zynischen Geschichtsbild, daß ihm sein selbstzufriedener Realismus wie bloße sentimentale Nostalgie vorkam. Er schwieg bis zum Ende des Essens, während Lapschott von Dichtern und Politikern erzählte, von Männern und Ereignissen, die den begrenzten Horizont des Dekans so weit überstiegen, daß ihn die geschmacklose Einrichtung des Salons froh stimmte.
    Mit frischem Selbstbewußtsein kam er auf einen neuen Rektor zu sprechen. »Cathcart deutete an, Sie könnten mir vielleicht etwas über Fitzherbert erzählen, den Sohn unseres katastrophalen Schatzmeisters«, sagte er. »Philippe? Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Der dämliche Sohn eines habgierigen Vaters. Lebt in Frankreich von dem Geld, das Fitzherbert père dem College gestohlen hat.« »Gestohlen?« wiederholte der Dekan. »Angeblich hat er es in Monte Carlo verspielt.«
    »Das hat er behauptet. Ich weiß es zufällig besser. Doch das nützt Ihnen jetzt nichts mehr. Der Sohn hat sein Erbe verjubelt. Wenn Sie einen reichen Rektor suchen, sind Sie bei Philippe an der falschen Adresse«, schloß Lapschott. »Gutterby, Launcelot Gutterby vielleicht?« fragte der Dekan schon weniger zuversichtlich.
    »Haben Sie seine Frau kennengelernt?«
    »Nein, das Vergnügen hatte ich noch nicht. Nicht, daß ich den Kontakt zu Launcelot hätte abreißen lassen, ich bin aber nie eingeladen worden.«
    Lapschott runzelte die schwere Stirn. »Falls man Sie je einlädt, rate ich Ihnen abzusagen. Lady Gutterby ist keine angenehme Frau, und sie hält ihn ausgesprochen kurz. Gar nicht dumm, wenn man bedenkt, wie zerstreut er ist, doch alles hat Grenzen. Meine heißt Fitou zu kaltem Hammel. Und zufällig weiß ich, daß im Keller exzellenter Wein lagert.« Dem

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