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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Büro wohl nicht groß genug«, befand der Praelector. »Vielleicht sollten wir uns in das private Speisezimmer der Fellows zurückziehen.« Sie marschierten quer über den Hof, gefolgt von Mrs. Morestead mit Stenoblock und Stift, und erst als sie um einen Mahagonitisch im privaten Speisezimmer Platz genommen hatten, trug der Praelector den Zweck dieser Sitzung vor. Seine Ansprache glich einer Grabesrede.
    »Wir sind heute zusammengekommen«, sagte er, »weil wir Maßnahmen ergreifen müssen, um mit etwas fertigzuwerden, was sich wohl als größere Katastrophe für das College selbst wie für das architektonische Erbe des gesamten Landes beschreiben läßt. Die Kapelle von Porterhouse ist ein herausragendes Exemplar der spätmittelalterlichen neoromanischen Sakralarchitektur Großbritanniens. Ihr Stil ist insofern einzigartig, als er der Gotik sehr wenig verdankt. Da sie zu einer Zeit errichtet wurde, als landesweit der gotische Baustil vorherrschte, scheint es mir ein deutliches Zeichen für die damals schon herrschende konservative Grundhaltung des Colleges zu sein, daß unsere Vorgänger beschlossen, den Gottesdienst auf möglichst traditionelle Weise abzuhalten.
    Porterhouse war schon immer stolz darauf, im wahrsten Sinne des Wortes ›seiner Zeit hinterherzuhinken‹ oder, noch präziser gesagt, in einer zeitlosen Welt zu existieren. Zu einer Zeit, da die Veränderung alles erobert und die Zukunft nichts zu bieten scheint als die Verblödung des menschlichen Geistes durch pausenloses Fernsehen und die Verbreitung schauderhafter Sendungen zur Befriedigung minderwertiger menschlicher Bedürfnisse, ist es daher von äußerster Wichtigkeit, daß wir die Firma bekämpfen, die unserer Kapelle mutwillig und auf verbrecherische Weise solchen Schaden zugefügt hat. Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, diesen Leuten bei Transworld Television nicht nur deshalb den höchstmöglichen Schadensersatz abzuverlangen, weil sie der gesamten Bausubstanz des Colleges sichtbaren Schaden zugefügt haben, sondern auch wegen der seelischen Nöte, die sie Mitgliedern des Colleges zufügten. Ich für meinen Teil werde mich von dem Schock nie erholen ...«
    Während der Praelector seine schier endlose Rede vom Stapel ließ, grübelte der Schatzmeister darüber nach, welche anderen Teile des Colleges, zu deren Restauration man die Leute von Transworld Television Productions zwingen könnte, in letzter Zeit gelitten hatten. Hinter dem Cox Block war kürzlich ein ordentliches Stück Dachrinne auf die Straße gefallen, zum Glück, als sich gerade niemand drunter befand. Nicht, daß einer dieser gräßlichen jungen Männer dafür verantwortlich sein könnte, das Dach war viel zu steil, und sie hätten Seile da oben gebraucht, aber egal. Außerdem mußte eine komplette Abteilung der Bibliothek neu verfugt werden, und sämtliche Schornsteine waren in einem gefährlichen Zustand ... Der Schatzmeister vertrieb sich die Zeit damit, eine Liste erforderlicher Reparaturen zu erstellen.
    Ihm gegenüber saßen Seite an Seite Mr. Retter und Mr. Wyve und schwiegen. Ihre Stellung als Rechtsberater von Porterhouse hatten sie von der Anwaltsfirma Waxthorne, Libbott und Chaine
    übernommen, als sie dort Partner geworden waren. Seither hatten sie diese Verbindung bereut. Waxthorne, Libbott und Chaine waren alle schon seit langem tot, doch als solide Juristen hatten Mr. Retter und Mr. Wyve darauf bestanden, deren Namen beizubehalten. Dies verschaffte ihnen eine adäquate Tarnung für ihre eigenen juristischen Mängel, da sie sagen konnten, Mr. Waxthorne habe die Ansicht vertreten, daß ... Da Mr. Waxthorne seit fünfundsechzig Jahren auf dem Friedhof an der Newmarket Road lag, konnte man ihm nur eine beratende Funktion zuweisen, und es war absolut realistisch und korrekt, wenn Mr. Retter oder Mr. Wyve erklärten, er könne keinen ihrer Mandanten persönlich empfangen. Genau das gleiche ließ sich von den Herren Libbott und Chaine behaupten: Ersterer hatte es vorgezogen, sich einäschern zu lassen, statt auch nur die gleiche Erde in der Nähe jener Partner zu teilen, die er jahrelang verabscheut hatte, während letzterer seinen Leichnam der medizinischen Fakultät der Universität zu Forschungszwecken und zur Sektion vermacht hatte – weniger aus dem Drang heraus, den medizinischen Fortschritt zu fördern, als um sicherzugehen, daß er auch wirklich und wahrhaftig tot wäre, bevor man ihn ins Krematorium an der Huntingdon Road brachte. Bis zu einem gewissen

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