Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
dennoch. Denn ich, der ich im Rollstuhl sitze, arbeite fleißig, um ins System einzuzahlen, und bekomme im Gegenzug nicht mal eine adäquate Förderung für meinen Arbeitgeber. Und jede Menge Anlaufschwierigkeiten obendrein. Und währenddessen zahlt irgendeine dieser Couchpotatoes dank meiner Steuern ihre Fernsehgebühren. Das kann nicht sein. Ich bin mir sicher, dass es keine Ausnahme ist, was mir da passiert ist, bestimmt ist es ganz vielen anderen genauso ergangen. Die auch das Gefühl hatten, dass ihnen Steine in den Weg gelegt werden, und dass sie trotz großer Eigenmotivation kein Oberwasser bekommen, weil es irgendeinen Blödmann gibt, der die Weichen in Richtung Sackgasse stellt.
An dieser Stelle möchte ich dringend an alle Arbeitgeber und Unternehmen appellieren: Schauen Sie einmal mehr hin! Es gibt so viele patente Menschen, die im Rollstuhl sitzen oder ein sonstiges Handicap haben, Männer und Frauen, die es verdient haben, dass man sich mit ihnen beschäftigt – und sie beschäftigt! Werden Sie offener, ein bisschen toleranter, vielleicht auch ein bisschen sozialer. Denken Sie mal drüber nach, liebe Personalchefs!
Letztlich ist jeder für sein Glück selbst verantwortlich, jeder muss sein Leben selbst in die Hand nehmen. Das kann auch bedeuten, dass ich zum Amt gehe und mich mit jemandem anlege, damit der ein bisschen mehr Gas gibt, weil ich nämlich schon eine Firma habe, die mich einstellen will. Man muss hin und wieder über seinen Schatten und aus der Rolli-
oder Behinderten-Schublade rausspringen. Manchmal ist das der einzig vernünftige Weg, denn sonst wird man nicht wahrgenommen.
Nützliche Links zum Thema:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales:
http://www.bmas.de/DE/Themen/Teilhabe-behinderter-Menschen/inhalt.html
http://www.bmas.de/DE/Themen/Teilhabe-behinderter-Menschen/Foerderung-der-Ausbildung-und-Beschaeftigung/foerderung-der-ausbildung-und-beschaeftigung.html
http://www.einfach-teilhaben.de/DE/StdS/Home/stds_node.html
Bundesarbeitsgemeinschaft für unterstützte Beschäftigung: www.bag-ub.de
Europäischer Dachverband für unterstützte Beschäftigung: www.euse.org
idm – Plattform für Diversity Management:
http://www.idm-diversity.org/deu/index.html
Charta der Vielfalt:
http://www.charta-der-vielfalt.de/
KAPITEL 6
Liebe
Ich bin immer davon ausgegangen, dass man Menschen in den meisten Fällen nicht aufgrund ihrer Beine liebt und man mich folglich wegen fehlender Beine auch nicht nicht lieben würde. Deshalb habe ich mich auch nie in den speziellen Online-Partnerschaftsbörsen für Behinderte bewegt.
Freunde haben mir immer wieder solche Seiten im Netz gezeigt oder wollten meine Meinung dazu wissen. Eine Seite ist mir durch ihr freundliches, positives Layout aufgefallen: My HandicapLove. de. Ich selbst habe diese Angebote zwar nicht genutzt, aber zu jedem anderen würde ich sagen: Wenn du ein Handicap hast und die Liebe suchst, warum es nicht auch auf diesem Weg versuchen, wenn es auf konventionelle Weise nicht klappt? Ich denke, wichtig ist, dass ein solches Portal hell und strahlend gestaltet ist. Wenn die Liebe ein Handicap hat, wenn also der Mensch, um den es geht, eine Delle hat oder einen Arm zu wenig, dann muss das Drumherum erst recht positiv und freundlich sein. Viele Menschen bewerten sich schon im Vorfeld als minderwertig oder fühlen sich in ihrer Rolle als Opfer, weil ihnen etwas »fehlt«. Wenn man einen Mangel als Mangel fühlt, wird es kritisch, denn dann ist man zu schnell bereit, das Erstbeste zu nehmen, das ein anderer »freiwillig« anbietet. Das dürften allerdings auch Menschen ohne Handicap kennen, denn um sich »behindert«, als »Nerd«, unzureichend oder ausgegrenzt zu fühlen, braucht man sicher keinen Rollstuhl und keine Prothesen.
Als ich mich durch My Handicap Love geklickt habe, ist mir aufgefallen, dass sehr viele Nutzer ihre Profile anonym, also
ohne Bilder, angelegt haben. Nur wenige haben ein Ganzkörperfoto eingestellt. Für mich zählt es zu den größten Behinderungen in der Liebe, wenn ein Mensch sich nicht zeigt. Damit es bei mir »Klick« macht, brauche ich ein Gesicht, eine Gestalt. Wenn ich jemanden nur halb sehe, kann ich mich auf die Person nicht vollkommen einlassen. Ob dieser Mensch im Rollstuhl sitzt oder nicht, ist dabei nebensächlich. Wenn jemand ein schönes Gesicht hat und auch der Rest – natürlich nicht nur die Optik – irgendwie attraktiv ist, dürfte es doch kein Problem sein, einen Partner zu
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