Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
haben, auf den man sich verlassen kann. Rollstuhlfahrer haben ja hin und wieder ganz spezielle Problemchen: mal eine Blasenentzündung, mal eine Druckstelle vom Sitzen ... Dann ist es besonders schön, wenn es jemanden gibt, der ohne Probleme schnell einen Tee kocht und es sich dann mit mir auf der Couch gemütlich macht.
Umso besonderer ist es, wenn zwei behinderte Menschen zusammen eine funktionale Beziehung führen. Ich kenne eine
Familie, bei der beide Eltern blind sind und sie eine sehende Tochter haben. Ich habe das Gefühl, dass diese Familie sehr glücklich ist und die Tochter sehr fürsorglich erzogen wird. Es gibt auch Paare von zwei Rollstuhlfahrern mit Kindern. Die müssen sicherlich unglaublich viel organisieren: Zwei Rollstühle plus zwei Kinderwagen, vielleicht noch einen Buggy dazu, und dann geht’s mit dem ganzen Krempel in den Urlaub ...
Ob zwei Behinderte nun besser miteinander klarkommen als zum Beispiel ein Fußgänger und eine Behinderte, kann man meiner Meinung nach nicht pauschal sagen, das zeigt sich nur im Einzelfall. Tatsache ist zwar, dass sich mehr Menschen in »ungleichen« Beziehungen professionell beraten lassen als beiderseits behinderte Paare, weiß Birgit Schopmans von der Beratungsstelle des fab (Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter) in Kassel. Sie weist aber gleichzeitig darauf hin, dass dies nicht zwangsläufig bedeute, Partnerschaften zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen wären problembelasteter. »Nicht selten kommen Menschen zu uns, deren Partner im Laufe der Beziehung durch einen Unfall oder eine Krankheit behindert wurden. Diese Menschen haben dann Schwierigkeiten, mit den neuen Herausforderungen umzugehen und die Behinderung zu akzeptieren.« Bei Konflikten gibt es für die Beraterin keine Unterschiede zwischen behinderten und nichtbehinderten Paaren: »Offen über die Probleme sprechen. Und Kritik formulieren, aber auch Kritik akzeptieren.«
Wichtig ist: Der behinderte Mensch muss sein Handicap akzeptiert haben und der nichtbehinderte Partner muss die Behinderung des anderen ebenso voll und ganz akzeptieren können. Wenn dann beide offene, selbstbewusste Menschen sind, kann auch eine »gemischte« Partnerschaft gut gelingen. Schwierig wird es nur, wenn ein Nichtbehinderter den Kontakt zu behinderten Menschen sucht, um das eigene Ego zu
polieren oder sich als Gutmensch zu fühlen. Ein natürlicher, unkomplizierter Austausch ohne Krampf und Hintergedanken sollte immer möglich sein.
Das gilt übrigens auch für die große Frage: Wie spricht man am besten über Sex mit behinderten Menschen? Das kann vor allem zwischen Behinderten und Nichtbehinderten ein stark trennendes Thema sein. Hier ist eine Brücke notwendig. Über Job, Autos und Urlaube kann man sich austauschen, aber wenn es um Sex und Liebe geht, dann bewegt man sich schnell auf unsicherem Terrain. Lieber nicht darüber sprechen, es ist doch sowieso alles schon schwer genug. Aber, wie mein Freund Max immer zu sagen pflegt: »Kompliziert wird eine Sache doch erst, wenn man so tut, als sei sie nicht kompliziert, und dass man deshalb nicht darüber sprechen müsse.« Dem kann ich nur beipflichten. Warum fragt man einen Rollifahrer nicht einfach: »Und wie machst du’s am liebsten?« Oder ganz einfach: »Geht das bei dir denn noch?« Ich kann eines vorwegnehmen: Bei den meisten, die ich kenne, klappt es – irgendwie. Wenn nicht unterhalb der Gürtellinie, dann eben oberhalb. Das konnte man ja zum Beispiel in dem Kinofilm Ziemlich beste Freunde gut sehen. Die Sache ist ohnehin sehr individuell.
Bei meiner Lebensgefährtin Annika und mir war es von Anfang an möglich, ungezwungen und ehrlich miteinander umzugehen. Wir haben uns auf einem Howard Carpendale-Konzert kennen gelernt. Ich erzählte ihr, dass Howard und ich uns aus einer Talkshow kennen und uns hier auf dem Konzert wiedertreffen wollten. Sie rollte daraufhin nur mit den Augen und hielt mich, glaube ich, für einen Angeber. Ich hingegen war nach einigen Blödeleien von ihr fasziniert; die Begegnung mit ihr hat mich in den nächsten Wochen weiter beschäftigt. Insgeheim habe ich nach dem Konzert gehofft, dass sie sich
bei mir meldet. Was sie schließlich auch tat. Wir haben uns verabredet, miteinander gekocht – und angefunkelt. Annika war damals noch gebunden, ich grade wieder frei. Es war jedoch sehr bald klar, dass wir großes Interesse aneinander hatten, also trennte Annika sich von ihrem damaligen Freund. Ich liebe sie
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