Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
nicht. Ich wollte immer arbeiten.
Zum Amt musste ich aber natürlich. Von den Beratern dort habe ich mich in meiner Arbeitswut regelrecht ausgebremst gefühlt. Da gab es immer wieder Prozesse und Abstimmungen, deretwegen eine Idee nicht weiter entwickelt werden konnte oder eine Entscheidung einfach auf Eis gelegt wurde. Mein Eindruck war, dass es dort einfach zu viele Leute gab, die keine Ahnung von der Materie hatten, vor allem überhaupt keine Ahnung von der Vermittlung behinderter Menschen. Ich habe mal von einem Fall gehört, in dem ein von Geburt an sehbehinderter Mensch beim Arbeitsamt abgewiesen wurde, weil ihn, so der Berater, mit einer solchen Behinderung kein Arbeitgeber einstellen würde. Der Sehbehinderte war aber sehr selbstbewusst, kümmerte sich danach mit Hilfe seines
Vaters selbst um einen Ausbildungsplatz und eine Anstellung. Heute genießt er großes Ansehen unter seinen Arbeitskollegen, weil er in seinem Bereich ein Fachmann wurde. Hätte er allerdings diesen eigenen Willen nicht gehabt, wäre es wohl nie soweit gekommen. Ein sicher wiederkehrendes Problem in Deutschland. Es fehlt an Kompetenz seitens der Berater und wohl auch an Motivation, jemandem einen Arbeitsplatz zu vermitteln, der außerhalb des Standards liegt.
Es gibt bestimmt Reha-Berater – die meisten sitzen in den Agenturen für Arbeit, aber auch in sozialen Institutionen, z.B. Einrichtungen der Diakonie oder Caritas, oder in privaten Einrichtungen –, die ihre Sache sehr gut machen. Die vielleicht auch eine entsprechende Weiterbildung bekommen haben oder persönlich gute Voraussetzungen mitbringen, um sich gerade in die speziellen Bedürfnisse und Schwierigkeiten von behinderten Menschen einzufühlen. Aber es gibt viel zu viele so genannte Reha-Berater, die mit dieser Aufgabe einfach überfordert sind.
Ich wünsche mir grundsätzlich mehr Berater, die selbst ein Handicap haben. Es kann ja nicht so furchtbar schwierig sein, ein paar Formulare zu studieren und sich in den bürokratischen Abläufen fit zu machen. Das könnte ich auch. Oder wenn es um behindertengerechte Auto-Umbauten geht oder die entsprechende Arbeitsplatz-Ausstattung und so weiter – das notwendige Wissen kann man sich doch aneignen.
Ich bin bei der Arbeit oft an meine Grenzen gestoßen. Manchmal tat mir mein Hintern vom vielen Sitzen ganz schön weh. Aber ich habe das trotzdem irgendwie durchgezogen. Mit Fieber im Büro sitzen und Kostenvoranschläge oder Rechnungen
schreiben, weil die Zahlen einfach stimmen müssen – das kenne ich. Ich habe meine Aufgabe extrem ernst genommen. Und so mache ich es mit allem, was ich anpacke, Dinge werden durchgezogen, bis sie erledigt sind. Mit Fieber allerdings heute nicht mehr – man(n) lernt ja dazu.
Ich weiß, dass es Leute gibt, die eine andere Grundeinstellung haben, die lieber vom Amt Geld nehmen, weil auf dem freien Arbeitsmarkt vielleicht wegen der Steuern weniger Geld rauskommt. Für mich ist das jedoch nicht ausschlaggebend. Mir ist es einfach wichtig, aktiv zu sein. Und produktiv.
Dass an unserem System etwas nicht stimmt, liegt auf der Hand, denn es darf nicht sein, dass jemand, wenn er seine Leistung da draußen bringt, weniger Geld im Portemonnaie hat als jemand, der von staatlicher Unterstützung lebt. Aber auch in den Köpfen der Leute stimmt etwas nicht, wenn sie sich lieber auf die faule Haut legen und sich vom Staat finanzieren lassen, obwohl sie arbeitstauglich sind.
Es gibt sicher viele Menschen, die unverschuldet in die Situation gekommen und auf Hartz IV angewiesen sind. Das ist mir bewusst. Verlassene Frauen mit Kindern oder ein Krankheitsfall, der arbeitsunfähig macht, und so weiter. All diese Fälle möchte ich jetzt gern in Schutz nehmen. Aber die ganzen anderen »Schmarotzer« da draußen sind mir ein Dorn im Auge. Denen würde ich rigoros die Leistungen runterkürzen, solange bis sie ihre Arbeitslust wiederfinden. Die kommen vielleicht morgens gegen elf aus der Wohnung gekachelt. Gehen eine Zeitung kaufen, hocken sich zu Hause wieder aufs Sofa und gucken sich im Privatfernsehen, in dem diese ganzen unsäglichen Nachmittags-Talkshows laufen, die nur zur Volksverdummung beitragen, dann stundenlang Müll an. Und dann gehen sie vielleicht noch einmal raus – zur Trinkhalle
oder auf eine Parkbank, um einen zu heben, kurz einkaufen und dann wieder auf die Couch.
Dieser Gedankengang ist natürlich etwas überfrachtet mit Klischees, das gebe ich zu, aber leicht aggressiv macht es mich
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