Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
Meter am Stück bewegen, selbst wenn draußen der Schneesturm tobt, und hat dort alles, was man zum Leben braucht, unter einem Dach. Sehr, sehr praktisch. Für mich nicht wegzudenken. Annika geht lieber in der Stadt einkaufen, wo es die schönen kleinen schnuckeligen Läden gibt. Klar, da hat das Schlendern durch die Sträßchen und Gässchen schon einen besonderen Charme. Aber da treffe ich nun mal zu oft auf Stufen und hohe Türschwellen. Und wenn Schnee liegt oder wenn es regnet, bewegt sich der Spaßfaktor auch tendenziell gegen Null. Also lieber schnell ins Einkaufszentrum düsen.
Aber was macht der Mensch mit Handicap bei einem solchen Sauwetter, wenn er kein Auto hat und der Kühlschrank gähnende Leere zeigt? Schon wieder beim Nachbarn klingeln? Oder den Pizzaman anrufen, der dann die gleiche hoffentlich noch heiße »Fettplatte« bringt wie am Tag zuvor? Hilfe! Der Winter hat doch gerade erst angefangen. Oft helfen mir Familienmitglieder oder Freunde weiter, wenn gar nichts mehr
geht. Aber Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sehen natürlich anders aus!
Einmal lag vor meiner Tür soviel Schnee, dass ich selbst mit meinem allradbetriebenen Auto die Auffahrt der Tiefgarage bei mir zuhause nicht mehr hochkam. Ich bin froh, dass mir das nicht so oft passiert ist, denn dann bin ich trotz Auto plötzlich wirklich völlig unmobil.
Natur im Winter bedeutet auch, dass ich dick angezogen sein muss, wenn ich unterwegs bin. Dicker als Fußgänger, weil ich sitzend einfach mehr friere als jemand, der sich bewegt. Da wird jede Ankunft in einem geschlossenen Raum zu einem Riesenakt, bis ich mich von den ganzen Textilschichten befreit habe. Ich sehe dann oft aus wie ein Michelin-Mann, dem sie die Füße geklaut und dafür Räder drangeklebt haben.
Und: Natur im Winter heißt, zum Stubenhocker werden und Couchpotato. Denn Parks im Winter sind wunderschön, aber selbst dort, wo Wege vorzufinden sind, sind sie doch alle mit Eis und Matsch bedeckt, wo ich mit meinen Rädern nur stecken bleibe. Und ohne Rollstuhl kann ich mich leider überhaupt nicht bewegen.
Das sage ich nicht – und soviel wissen Sie inzwischen hoffentlich von mir – aus Selbstmitleid. Ich sage es nicht, um Ihr Bedauern zu erwecken, sondern viel mehr um Verständnis zu schaffen. Denn vieles, was Füßler, nicht-behinderte Menschen, erfreut und nährt, ist für Menschen wie mich schwer erreichbar – oder sagen wir mal so: schwerer erreichbar.
Tatsache ist: Barrierefreie Natur gibt es nicht. Und überall da, wo sie barrierefrei gemacht wird, ist sie nicht mehr Natur, sondern Park. Natürlich gibt es verschiedene Seiten im Internet, die mir helfen, Orte zu finden, an denen ich mich in der Natur bewegen kann. Auch wenn ich mal Urlaub machen
möchte. Zum Beispiel www.nationalpark-harz.de/de/naturerleben/barrierefrei_erleben/ .
Es gibt allerdings auch in diesem Bereich noch viel zu tun, gerade weil die Pioniere im Rollstuhl noch nicht auf allen Wegen langgerollt sind. Vieles, was man als Füßler spontan draußen erlebt – mal eben raus gehen, mal eben los ziehen, sich mal eben mit jemandem auf die grüne Wiese setzen –, ist leider nicht immer Teil von meinem Aktionsradius. Und das finde ich sehr schade, weil ich ein spontaner Mensch bin und meiner Tochter Emely auch die Natur nahebringen möchte. Man kann ja soviel entdecken, wenn man aufmerksam hinschaut und hinhört.
Wie es früher mit dem Rollstuhl auf dem Land, vor allem in den kalten Jahreszeiten gewesen wäre, möchte ich nicht einmal erahnen. Da hortet man am besten ganz viele Vorräte und Holz zum Feuern in der Kammer. Und baut sich vielleicht eine Schneefräse zum coolen Behindi-Gefährt um, damit man zu Weihnachten auch mal in die Kirche kommt und andere Menschen sieht.
Diese Einschränkungen im Winter oder auch bei starkem Regen, bei dem ich liebend gerne wie Emely durch die Pfützen springen würde, habe ich durch verschiedene andere Aktivitäten wie zum Beispiel Radfahren, Autokinobesuche, den Tag in der Mukkibude oder kochend am Herd für meine Lieben kompensiert. Denn wenn einem etwas genommen wird, wird einem auch immer etwas anderes dafür gegeben. Natürlich vorausgesetzt, man ist dafür offen, es entgegen zu nehmen. Das ist meine ganz persönliche und echte Haltung zu diesem Thema.
Für mich ist Skifahren im Winter eine gute Möglichkeit, um diesen speziellen Aggregatzustand des Wassers zu genießen.
Auf der Piste braucht man keinen Rollstuhl. Einfach rein in den Ski und
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