Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
bei jedem Aufenthalt ein anderes Hotel austesten, um sich nach Barrierefreiheit und dem schönsten Pool umzusehen. Es ist wie so oft ein Prozess, der eine Weile dauert, bis man das Optimale für seine Bedürfnisse gefunden hat.
Wäre ich Organisator behindertengerechter Reisen, würde ich erst einmal verschiedene Kategorien entwerfen, anhand von Art und Grad der Behinderung – von leicht über mittelschwer bis schwer. So gibt es die Leute, die sehr stark eingeschränkt sind in ihrer Beweglichkeit – zum Beispiel Querschnittsgelähmte, die nicht nur im Rollstuhl sitzen, sondern zusätzlich eine eingeschränkte Armfunktion haben. Diese benötigen ganz andere Unterstützung als zum Beispiel Senioren, die einfach nur geringfügig gehbehindert sind.
Berücksichtigen muss ich auch die Abenteuerlust des Reisenden. Ein gehbehinderter Rentner möchte wohl eher nur ausspannen, vielleicht mal spazieren gehen. Das erfordert relativ wenig Aufwand. Hingegen sind einige spezifische Hilfsmittel nötig, damit ein stark behinderter Mensch auf der Suche nach einem Adrenalinkick Jet-Ski oder Wasserski fahren oder Bungee-Jumping machen kann.
Auch das Sportangebot muss auf die Bedürfnisse abgestimmt
sein. So kommt nicht jeder Sandtennisplatz für Rollstuhlfahrer in Frage. Und auch beim Rollstuhl-Golf sind Sandbänke eher ungünstig. Hier muss ich mir andere, überwindbare Hindernisse einfallen lassen. Hierzu ein kleiner Tipp: Thailand ist ein wahres Golfparadies für Rollstuhlfahrer. Auch deswegen, weil die Menschen in Thailand sehr sozial eingestellt sind.
Man müsste sich an die Reisegesellschaften wenden und sie beraten. Ihnen erklären, welche Bedürfnisse jemand mit dieser oder jener Behinderung hat. Ein kurzer Kraftakt und ein flächendeckender Blick könnten hier vielen, nicht nur Menschen mit Behinderung, einen großen Vorteil und noch mehr Urlaubsvergnügen verschaffen.
KAPITEL 12
Soziales Engagement
Jede Gesellschaft braucht Menschen, die sich engagieren. Das Ehrenamt spielt dabei seit Jahren eine zunehmend größere Rolle. Menschen, die andere unterstützen oder auf bestimmte Begebenheiten aufmerksam machen, Menschen, die in Rente sind, oder Berufstätige, die in ihrer Freizeit etwas für andere tun. Wenn man die Begriffe »Ehrenamt« und »Behinderte« verknüpft, landet man meistens beim Engagement von Menschen ohne Einschränkungen für Menschen mit Behinderung. Was weniger auftaucht, sind die umgekehrten Fälle, in denen Menschen mit Behinderung sich für eine Sache, vielleicht sogar für Menschen ohne Behinderung einsetzen. Dabei können Menschen ohne Handicap von Menschen mit Handicap viel lernen. Zum Beispiel
Geduld zu haben mit sich und anderen
Offenes Ansprechen schwieriger Themen
Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen
Die Welt mit offeneren Augen zu sehen, tolerant sein
Dankbar und zufrieden zu sein mit dem, was man hat.
Leider mangelt es in unserer Gesellschaft an Vorbildern, die Menschen mit Handicap motivieren. Natürlich könnte jeder auch für sich allein auf Ideen dieser Art kommen, aber gerade wenn man eine Beeinträchtigung hat, ist erst mal ein besonders stabiles Selbstbewusstsein gefordert, um sich gesellschaftlich einzubringen und einzumischen. Mit einem Handicap kann man viele Dinge nicht oder nicht mehr so
»leichtfüßig« tun wie zuvor. Wer ein Handicap hat, muss sich in der Regel darauf einstellen, dass sich die Welt in manchen Bereichen langsamer oder anders dreht. Diese »Entschleunigung« ist durchaus positiv zu bewerten, denn sie ermöglicht es, Abläufe und Empfindungen in Zeitlupe zu reflektieren und damit ein Stück über der Situation zu stehen. »Metaebene« nennen Psychologen diesen Zustand.
Damit man sich traut, seinen eigenen Rhythmus gewinnbringend für die Gesellschaft zu nutzen, ist es aber wichtig, dass dir jemand Engagement zutraut – allen voran natürlich du dir selbst. Und man muss sich seiner Fähigkeiten und Stärken bewusst sein. Es gilt herauszufinden, in welcher Lücke der Gesellschaft ich als Puzzleteil verbindend wirken kann.
Sich einzusetzen – im Kleinen oder im Großen – macht zweifach glücklich: den, der etwas bekommt, und den, der etwas gibt. Darüber hinaus kann soziales Engagement generell gesellschaftliche Mängel und Defizite sichtbar machen und dauerhaft Abhilfe schaffen. Grundvoraussetzung dafür ist jedoch vor allem der feste Entschluss desjenigen, der sich einmischt und für andere einsetzt, selbst sichtbar zu werden. Gerade im Fall von
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