Blow Out (German Edition)
Einkommensquelle für sich entdeckt hat. Zu viel Konkurrenz.« Penibel achtete sie darauf, mit jedem Einzelnen Sichtkontakt herzustellen. »Was würdet ihr sagen, wenn ich euch etwas anbiete, was niemand sonst in Havanna besitzt? Etwas, das eurem Geschäft ein Alleinstellungsmerkmal verleiht. Etwas, das die Touristen in Scharen zu euch lockt.«
»Was?«, wollte Carlos wissen.
Sie spürte, dass sie ihn am Haken hatte, und ließ ihn einen Moment zappeln, bevor sie antwortete. »Ein U-Boot.«
Carlos sah aus, als überlegte er, ob er gerade von einer 1,64 Meter kleinen weißen Amerikanerin verarscht wurde.
»Ein U-Boot?«, wiederholte María.
»Mit ein wenig Glück vielleicht sogar zwei.« In kurzen Worten erzählte Emma von den beiden Wartungs-
U-Booten der Independence. Mindestens eines davon würden sie sowieso kurzschließen müssen, um zur Verteilerstation abzutauchen. »Weshalb also dieses U-Boot wieder brav in den Hangar zurückbringen?«
»Das ist gut«, pflichtete Nick ihr bei. »Wir schnappen uns die U-Boote!«
Carlos dachte nach. Er suchte Blickkontakt mit María, die lediglich die Lippen schürzte.
»Stellt euch die Möglichkeiten vor, die ein eigenes U-Boot bietet«, führte Emma weiter aus. »Menschen, die selbst nicht in der Lage sind, zu tauchen, kommen dank euch plötzlich in den Genuss einer Tauchtour. Alte Menschen. Kranke Menschen. Kinder könnten gemeinsam mit Mami und Papi eine Tour durch Miami buchen oder ihren Eltern durch die Bullaugen beim Tauchen zusehen. Eine phantastische Vorstellung, wenn ihr mich fragt. Die Touristen werden euch die Bude einrennen, und ihr werdet das Geld schubkarrenweise abtransportieren.«
»Sie hat recht«, rief Nick. »In Asien und Europa werden schon seit Jahren U-Boot-Touren angeboten. Zum Teil werden dafür sogar staatliche Lizenzen vergeben.«
An den Gesichtern der Kubaner erkannte Emma, dass sie mit ihrer Vision voll ins Schwarze getroffen hatte. Es war Roberto, der das Schweigen brach. »Hört sich für mich gut an.«
»Cool«, sagte León.
»María?«, fragte Carlos.
Sie lächelte. »Die Idee hat was.«
»Jorge?«
»No!« Der undurchsichtige Mann mit dem Bandana spuckte vor ihnen aus. »Was bringt uns ein verschissenes U-Boot, wenn wir alle sterben?«
»Wie denkst du darüber, Carlos?«, wandte sich Emma demonstrativ an Jorges Anführer.
Carlos ließ sich Zeit. Schließlich sagte er: »Wir brauchen jemanden, der ein U-Boot bedienen kann.«
Ja! Sie hatte es gewusst. Einer Verlockung wie dieser konnte jemand wie Carlos nicht widerstehen. Sie knuffte Nick in die Seite. Er grinste bis über beide Ohren.
»José Fuentes«, schlug Roberto vor.
»El soldado loco?« María verzog das Gesicht.
»José war bei der Marine.«
»Nur weil er bei der Marine war, kann er noch lange kein U-Boot bedienen«, warf Carlos ein.
Roberto zog genüsslich an seinem Zigarrenstumpen und blies einen dicken Rauchring in die Luft. »José kann das.«
»Wir werden ihn fragen«, entschied Carlos und wandte sich an Nick. »Wann wollt ihr aufbrechen?«
»Sobald wir einen Plan ausgearbeitet haben. Wir dachten an morgen Abend. Je eher, desto besser.«
»Geh und sprich mit José«, wies Carlos Roberto an. »Wenn er dabei ist, sind auch wir dabei.«
Roberto nickte und marschierte los.
Emma sah ihm nach. Die Dinge gerieten in Bewegung. Das war gut. Weniger gut war, dass sie Carlos und den anderen etwas Wichtiges in Bezug auf die U-Boote verschwiegen hatte. Sie wunderte sich, dass diesbezüglich niemand nachfragte. Kam außer ihr denn keinem in den Sinn, dass sie diese U-Boote, nach all den Jahren, womöglich gar nicht mehr vorfinden würden? Verstohlen blickte Emma in die Runde. Wie würden diese Männer reagieren, sollte das tatsächlich der Fall sein? Emma konnte es sich lebhaft vorstellen. Es würde alles andere als angenehm für sie und Nick werden. Irgendwann mussten sie sich diesem Problem stellen, so viel stand fest. Nur befanden sie sich dann bereits auf der Independence.
Nick klatschte in die Hände. »Okay, wir brauchen einen Plan.«
Jorge spuckte ein weiteres Mal geräuschvoll aus, diesmal direkt vor Emmas Füße. »Wir werden alle sterben«, meinte er, und aus seinen Augen sprach der pure Hass.
94
Die Arme um die Knie geschlungen, saß Emma am Strand von Cojimar. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne beschienen von unten die verwehten Cirruswolken und färbten sie leuchtend rot. Emma wünschte, dieser Augenblick würde ewig andauern. Trotz der Hitze
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