Blow Out (German Edition)
fleckigen Hände lagen schlaff auf seinem Schoß, die Finger zu Klauen gekrümmt. Dünne Pergamenthaut spannte sich über den deutlich hervorstehenden Knochen. Von dem wallenden Haar und dem wilden Bart war nichts übriggeblieben. Die Haut an Leuthards Glatze war so fleckig wie seine Hände, und an der rechten Schläfe, dort wo der Bioport Leuthards Gehirn mit der Computereinheit des Rollstuhls verband, wölbte sich dicker Schorf um den Anschluss. Nur die grauen, buschigen Augenbrauen und die wachsamen Augen erinnerten Nick entfernt an das Foto. Ein modriger Geruch stieg ihm in die Nase. Plötzlich wusste er, welchen Geruch das süßliche Raumspray überdecken sollte, das sie bereits beim Betreten der Wohnung wahrgenommen hatten.
Leuthard steuerte seinen Rollstuhl direkt vor Emmas Sessel. Der ekelhafte Geruch, den er ausströmte, raubte Nick fast den Atem. Er sah hinüber zu Emma. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen erging es ihr ähnlich.
»Weshalb sind Sie verstummt?«, fragte Leuthard, an Emma gewandt.
»Wie bitte?«, entgegnete Emma, der auf die Schnelle nichts Besseres einfiel.
»Weshalb haben Sie Ihre Unterhaltung mit Ihrem Kollegen unterbrochen, als ich an der Tür erschien?« Sein Blick haftete unverwandt auf ihr. Nick dagegen schien er nicht einmal zu bemerken.
»Es … wäre unhöflich gewesen, weiterzureden.«
»Ist Ihnen mein Anblick peinlich?«
»Aber nein, ich bitte Sie. Wir haben extra den weiten Weg von Berlin hierher auf uns genommen, um Sie zu treffen«, antwortete Emma und wurde rot.
»Das ist gut«, erwiderte Leuthard, »denn für einen Moment dachte ich schon, Sie ekeln sich vor mir.«
»Vater!«
»Schon in Ordnung«, versicherte Emma rasch. »Tut mir leid, falls ich diesen Eindruck erweckt habe.«
»Möchten Sie meinen Blasenkatheter sehen?«
»Vater, bitte!«
»Ich bin hier, um mit Ihnen über Professor Xavier Rochas, Dr. Claude Chevallier und River Maddox zu reden«, erwiderte Emma so gelassen wie möglich. »Und über den 15. November 2015.«
»Es ist ein suprapubischer Katheter. Wirklich äußerst interessant.«
»Vater, das reicht jetzt wirklich!« Corinne Leuthard war den Tränen nahe.
»Was soll diese Show, Dr. Leuthard?«, platzte Nick heraus. Seine Erfahrung sagte ihm, dass sie mit Freundlichkeit alleine hier nicht weiterkommen würden. »Meine Partnerin und ich haben Beweise. Verstehen Sie? Wir können die Verbrecher, die Ihnen das hier angetan haben, zur Rechenschaft ziehen. Alles, was wir dafür benötigen, ist ein kleines bisschen Kooperation Ihrerseits. Nur ein paar Auskünfte. Mehr nicht.«
Leuthard ließ sich Zeit mit einer Antwort. »Ich sehe nicht, welchen Nutzen ich davon hätte, mit Ihnen zu kooperieren.«
»Liegt Ihnen denn nichts daran, die Wahrheit über die Verbrechen, die auf der Independence begangen wurden, ans Tageslicht zu bringen?«
» Wahrheit .« Er spie das Wort regelrecht aus. »Bringt mich die Wahrheit vielleicht aus diesem verdammten Rollstuhl? Macht mich die Wahrheit wieder gesund?«
»Nein«, gab Nick zu. »Aber vielleicht macht sie einen zufriedeneren Menschen aus Ihnen.«
Ein humorloses Lachen drang aus seiner Kehle. »Junger Mann, Sie sind reichlich naiv.«
»Dann denken Sie an Ihre Tochter«, warf Emma ein. »Ihr ist es wichtig. Sie hat uns hergebeten, weil sie sich etwas davon verspricht.« Sie deutete auf Corinne Leuthard. »Sehen Sie denn nicht, wie unglücklich Ihre Tochter ist?«
Leuthard erwiderte nichts.
Nick musterte ihn und fragte dann unvermittelt: »Welche Rolle hat River Maddox bei Projekt Morgenröte gespielt? Ihre Tochter meinte, er sei der Schlüssel zu allem.«
»Corinne hat nicht die geringste Ahnung«, brauste Leuthard auf. »Maddox war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt, Vater.«
»Halt den Mund!«, herrschte er sie an. Ein Speicheltropfen sprühte aus seinem Mund und landete auf Nicks nacktem Unterarm. Nur mit Mühe unterdrückte er den Impuls, ihn angeekelt wegzuwischen.
»Dr. Leuthard, wir sind im Besitz einer umfangreichen CIA -Akte, mit deren Hilfe wir der Welt die Wahrheit über Projekt Morgenröte offenbaren können«, versuchte er es erneut. »Wir sind keine dahergelaufenen Spinner, und wir sind ganz sicher nicht zum Spaß hier.«
»Falls Sie tatsächlich im Besitz einer solchen Akte sein sollten, wozu brauchen Sie dann mich noch?«
»Die Akte wirft leider mehr Fragen auf, als sie beantwortet.«
»Das dachte ich mir.« Leuthard schloss die Augen.
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