Blütenrausch (German Edition)
in den Sessel, um mich, so gut es ging, klein zu machen, und bedeckte dabei mein Gesicht mit dem Heft. Vorsichtig hob ich den Blick, gerade so, dass ich etwas sehen konnte, und erhaschte, wie beide sich an der Eingangstür umarmten. Als sie auseinandergingen, unterhielten sie sich noch kurz und dann tat Sophia etwas, das mich verwirrte: Sie streichelte mit der flachen Hand Behrings Gesicht. Er gewährte es für einen kurzen Moment, dann hielt er abrupt ihr Handgelenk fest, entfernte ihre Hand von seinem Gesicht und schüttelte den Kopf. Eine Sekunde später drehte er sich um und ging wieder in Richtung Lift. Sophia blickte ihm mit enttäuschter Miene hinterher. Dann ging sie zum Ausgang.
Als die Luft rein war, eilte ich hinter ihr her. Ich sah noch, wie ihr Taxi erneut wegfuhr. Glücklicherweise stand noch eins vor der Tür und ich konnte die Verfolgung wieder aufnehmen.
Diesmal ging die Fahrt nach Kreuzberg. Als Sophias Taxi vor einem ziemlich heruntergekommenen Mehrfamilienhaus anhielt, und ich den Betrag auf der Taxi-Uhr sah, schlug ich innerlich drei Kreuze, in der Hoffnung, dass dies meine letzte Taxifahrt für den heutigen Tag sein würde, denn nach der Bezahlung würde mein Geldbeutel vor Leere gähnen.
Ich bat dem F ahrer das gleiche Spielchen zu wiederholen, wie beim letzten Mal. Wieder wartete ich bis Sophia hinter der Eingangstür verschwand, ehe ich es wagte, mich dem Gebäude zu nähern.
Die Klingelschi lder des Altbaus verrieten, dass das Gebäude fast leer war. Nur noch vier Mieter hatten ihre Namen auf den Schildern angebracht. Auf einer Baustellentafel, die auf der linken Seite der Fassade befestigt war, wurde groß verkündet, dass hier in Kürze neue Wohnungen entstehen würden. Um der Wohnungsräumung Paroli zu bieten, hatten die Bewohner, oberhalb des dritten Stockes, über drei Fenster reichend, ein Stoffplakat aufgehängt, auf dem sie verkündeten: »Nur über unsere Leichen« .
Keiner der vier Namen an den Klingelschildern war mir bekannt. Da die Tür nur angelehnt war, kam ich ohne Weiteres in das Treppenhaus. Ich konnte noch Sophias Schritte hören. Auf einmal hielten sie an, eine Tür ging auf und zu, und dann herrschte Stille.
Ich lief die Treppen hoch und lauschte in jedem Stockwerk, hinter jeder Tür, bis ich mich im dritten Stock am Ziel wähnte. Dort befand sich die einzige Wohnung, in der man Stimmen wahrnahm. Sie waren zu weit weg, als dass ich von dem Gespräch etwas mitbekam, aber es handelte sich um die Stimmen eines Mannes und einer Frau. Ob es die von Sophia war, konnte ich nicht beschwören, daher lauschte ich noch kurz hinter den Türen des vierten und letzten Stockes, um sicherzugehen, dass sie nicht doch eine andere Wohnung betreten hatte. Jetzt, da kein Zweifel mehr daran bestand, dass sich Sophia in der vermuteten Wohnung befand, suchte ich mir ein Plätzchen auf der Treppe oberhalb des Stockwerkes. Wenn Sophia die Wohnung verließ, konnte sie mich dort nicht sehen. Und dann wartete ich. Wieder einmal.
Mindestens eine halbe Stunde lang.
Die Zeit schlich nur so dahin und ich fragte mich, wen sie da wohl besuchte. War es Tim? Weder die Gegend noch das Haus passten zu Sophia. Es war nicht das kultige und angesagte Kreuzberg, das sie da besuchte. Es war ein schäbiges, tristes Loch, das sich in einer Ecke des Kiezes befand, die durch ihre Trostlosigkeit herausstach. Dass Sophia dort Freunde hatte, glaubte ich nicht. Ich konnte mir aber auch nicht vorstellen, dass Tim in dieser Bruchbude wohnte. Er war ein denkbar brotloser Künstler, aber er musste zumindest etwas Stil besitzen, anders konnte ich mir die Beziehung zu Natalie nicht erklären. Wenn er in dieser Absteige wohnte, hätte sie mit Sicherheit alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn dort rauszuholen. Selbst wenn sie seine Miete hätte zahlen müssen. Womöglich hielt er sich hier versteckt. Aber wenn er der Mörder war, warum besuchte Sophia ihn? Oder hatte er hier nur Unterschlupf gesucht, weil er von Natalies Tod erfahren und er Angst hatte, man würde ihn für schuldig halten? Das alles wollte ich klären.
Sobald Sophia das Haus verließ.
Du bist eine Närrin . Und wenn er bewaffnet ist? Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich mir sagte, dass ich dann den ganzen psychologischen Kram anwenden könne, den ich in der Polizeiakademie gelernt hatte, um die Täter davon zu überzeugen aufzugeben. Und wenn das nicht half, konnte ich mich immer noch auf meine kleine eins zu eins echt aussehende
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