Blütenrausch (German Edition)
Ringe unter den Augen und der müden Lieder war sie recht hübsch. Ihre lockige dunkle Haarpracht breitete sich elegant über die zusammengelegten Sofakissen, als gehöre dies zur dramatischen Inszenierung dazu. Sie schniefte ununterbrochen. Ich überlegte, ob ich sie auf der Beerdigung gesehen hatte, ich war mir aber ziemlich sicher, dass das nicht der Fall war. Davor hatte ich sie auch nicht gesehen. Bei dem einen Treffen mit Natalie, an dem einige ihrer Freundinnen anwesend waren, war sie nicht dabei gewesen.
»Sie waren also die Weddingp lanerin von Natalies Hochzeit?«, fragte sie und sah mich dabei so erbärmlich an, dass ich am liebsten gefragt hätte, wo die Küche ist und ihr sofort eine Hühnersuppe gekocht hätte, so wie sie meine Großmutter immer zubereitete: Mit zwei großen Zwiebeln und viel Pfeffer, damit die Brühe den Teufel aus dem Körper rausjagte, wie sie immer zu sagen pflegte. »Bitte setzen Sie sich doch«, bibberte sie.
Ich nahm in einem der zwei goldfarbenen Sessel Platz, die gegenüber der Couch standen, und versank buchstäblich darin.
So musste sich der kleine König im Sessel fühlen, wenn er auf seinem großen Sessel saß, ging es mir durch den Kopf. Das war eine Kindergeschichte, die ich oft meinem kleinen dreijährigen Neffen vorlas, wenn ich meine Schwester in Mannheim besuchte. Wie eine Königin fühlte ich mich nicht gerade, eher etwas verloren in diesem wuchtigen und tiefen Sessel, der im Rokoko Stil angefertigt war.
» Ja, das war ich. Ich habe ihr dabei geholfen, ihre Feier zu organisieren. Es war eine traumhafte Hochzeit, bis ... Ich vermute, Sie wissen schon, was passiert ist.«
Hannah Kraft drehte ihren Kopf zur Seite und schwieg. Ich konnte sehen, dass sie verbissen versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. Als sie sich wieder im Griff hatte, meinte sie: »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber warum sind Sie hier? Wie sind Sie überhaupt auf mich gekommen?«
» Frau Behring hatte Sie zu ihrer Hochzeit eingeladen. Ich weiß es, weil ich die Hochzeitsliste und die Tischordnung öfters mit ihr durchgegangen bin. Aber kurz vor der Hochzeit bat sie, Sie von der Tischordnung zu entfernen. Sie sagte nicht warum, das geht mich ja auch nichts an. Aber wissen Sie, ich nehme meine Arbeit sehr ernst, und nachdem, was passiert ist, fühle ich mich in der Pflicht, den geladenen Gäste, die nicht kommen konnten, zumindest eine Erinnerung an Frau und Herr Behrings großen Tag zu überreichen.«
Ich griff in meine Tasche und holte einen Parfümflakon heraus. Ich könnte jetzt nicht genau sagen, warum ich, nachdem Schulze und seine Männer mit den ersten Befragungen fertig waren, einige der herumliegenden Gastgeschenke mitgehen ließ. Meine Gedanken wurden ständig hin und her geschleudert, sodass ich nicht jede meiner Handlungen nachvollziehen konnte. Viele der Gäste hatten in der Aufregung die Geschenke entweder vergessen oder fanden es in diesem Fall nicht angebracht, sie mitzunehmen. Ich glaube, es war eine Mischung aus dem Gedanken, sie könnten weggeworfen werden und der Angst, die Gäste könnten ja irgendwann mal nachfragen, wo sie geblieben seien, was mich dazu veranlasste, sie in Sicherheit zu bringen. Jetzt war ich froh darüber, denn ich hatte einen erfundenen Vorwand für meinen Besuch.
»Sie hatte sich bei der Auswahl der Gastgeschenke sehr viele Gedanken gemacht und schließlich entschied sie sich für dieses hübsche Geschenk fü r die Damen.« Ich reichte ihr das Fläschchen. Die Kranke streckte eine Hand aus der Decke hervor und nahm es zu sich. »Da Sie nicht dabei sein konnten, habe ich Ihnen einen Flakon mitgebracht. Frau Behring hätte es so gewollt.«
Hannah Kraft hielt das Präsent in der Hand und betrachtete es fast so, als wäre es ein heiliger Gegenstand. Stille. »Ich verstehe es nicht! Ich verstehe es wirklich nicht!«, seufzte sie.
» So etwas kann niemand verstehen«, versuchte ich sie zu trösten.
» Sie verstehen nicht. Natürlich kann niemand verstehen, warum sie sterben musste. Und ausgerechnet an ihrer Hochzeit. Aber was ich meine, ist, dass ich nicht verstehen kann, wie es so weit kommen konnte, dass sie mich schließlich ausgeladen hat.«
» Sie hat Sie ausgeladen?«
Meine Überraschung war diesmal wirklich nicht gespielt. Ich hatte mir nicht viel von diesem Treffen erhofft, eigentlich nur eine logische Erklärung, weshalb sie nicht zur Hochzeit erschienen war, so etwas wie, dass sie krank geworden, beruflich unterwegs war oder
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