Blütenzauber und Liebeswunder: Roman (German Edition)
nur ein weiterer einsamer Tag. Genauso einsam wie jeder andere Tag.
Cherish staubte in ihrem seit fünf Jahrzehnten kaum veränderten Bungalow in Hazy Hassocks die Royal-Doulton-Figuren ab und dachte sich, dass es ja gut und schön gewesen war, ihren Beruf aufzugeben, um ihre Eltern zu pflegen, jegliche Chance aufzugeben, jemanden kennenzulernen, zu heiraten und Kinder zu kriegen; ihr Leben bis zu deren Tod ganz ihren Eltern zu widmen. Ihre Eltern hatten sie geliebt, und sie hatte ihre Eltern geliebt und ihre Pflicht getan und hatte nicht das Geringste dagegen einzuwenden gehabt.
Doch jetzt, ohne Eltern, ohne Beruf und ohne einen Menschen, der sie brauchte, war es ein wirklich trostloses Dasein.
Natürlich hatte sie Biddy, mit der sie seit ihrer Schulzeit befreundet war, und auch Biddy war alleinstehend. Doch Biddy war gerne allein. Wahrscheinlich, weil sie immer so miesepetrig war. Immer nur das Haar in der Suppe sehen wollte. Biddy, dachte Cherish, als sie ihr Staubtuch zusammenfaltete und ordentlich neben der Politur in ihrem Putzkasten verstaute, war ausgesprochen boshaft und machte einen manchmal ganz schön fertig. Das war auch der Grund, warum sie nach wie vor keine echten Freunde hatte. Abgesehen von Cherish natürlich.
Doch selbst in fortgeschrittenem Alter schien Biddy das Alleinsein nach wie vor nichts auszumachen, denn Biddy war im Grunde schon immer eigenbrötlerisch gewesen. Schon in der Schule hatte Biddy es durch ihre bissigen Bemerkungen geschafft, es sich mit den meisten Leuten zu verderben. Cherish war aus irgendeinem Grund nie zur Zielscheibe von Biddys Gehässigkeiten geworden. Als zwei Einzelkinder mit alten Eltern hatten sie eine merkwürdige Allianz gebildet. Damals wie heute konnte die überkritische Biddy, die mit sich selbst stets vollkommen zufrieden war, überhaupt nicht verstehen, wieso Cherish sich nach der Gesellschaft anderer Menschen sehnte.
Und deshalb hatte Cherish auf Biddys Rat hin – »Also, wenn du unbedingt mit anderen Leuten zu tun haben willst, Gott allein weiß, warum, dann kannst du ebenso gut auch gleich Geld damit verdienen, und da du ja sonst zu nicht viel zu gebrauchen bist, könntest du doch dieses Farbberatungszeug wieder aufgreifen, das du früher mal gemacht hast« – mit Farbberatung als freiberuflicher Tätigkeit begonnen.
Irgendwie hatte sie immer ein Gespür für die Farben, die der inneren Aura eines Menschen entsprachen. Selbst als Kind schon. Ihre Mutter hatte es als Gabe bezeichnet. Cherishs Mutter war ein beigefarbener Typ gewesen, so wie jetzt auch Cherish. Ihr Vater entsprach eher einem gedämpften Grün oder Heidekrauttönen. Keiner von ihrer Familie war auch nur im Entferntesten das gewesen, was man als farbenfroh hätte bezeichnen können.
Die Farbberatung war etwas, das sie in Miriams Modegeschäft immer gemacht hatte. Dort hatten Damen einer gewissen Gesellschaftsschicht eingekauft, und Cherishs Empfehlungen hinsichtlich der passenden Farbe ihres neuen Hemdblusenkleids oder Kostüms waren immer willkommen gewesen.
Komisch, dachte Cherish, heutzutage sagte niemand mehr Kostüm. Immer nur Zweiteiler. Zweiteiler waren zu ihrer Zeit nur etwas für Männer gewesen. Damen trugen Kostüme.
Wie schön es doch gewesen wäre, dachte Cherish, wenn sie ihre Farbberatung in dieser wunderbaren Nostalgie-Boutique gestern hätte machen können. Nicht etwa, dass sie das Geld bräuchte, egal, was Biddy auch sagte, denn Cherish hatte nie wirklich Geldsorgen gehabt. Ihre Eltern hatten eine gut ausgeklügelte Aussteuerversicherung für sie abgeschlossen und ihr ein gesundes Finanzpolster hinterlassen, und selbst als sie aufgehört hatte zu arbeiten, war die Prämie von Cherishs eigener Lebensversicherung, in die seit ihrer Kindheit einbezahlt worden war, zu ihrem fünfzigsten Geburtstag zu einer hübschen Summe angewachsen. Sie hatte innerhalb eines gewissen Rahmens immer gut leben können.
Nein, ums Geldverdienen ging es nicht, aber es würde doch einen großen Unterschied machen, irgendwo hinzugehen, irgendwen zu treffen, ein Ziel im Leben zu haben, wenn sie jeden Morgen aus dem Bett stolperte, um als Erstes den Wasserkocher einzuschalten, gefolgt von dem Radio auf dem Küchenfensterbrett.
Es war schon traurig, fand sie, mit Mitte fünfzig ihr Leben tagsüber vom Radioprogramm und abends vom Fernsehen bestimmen zu lassen. Doch immerhin war sie noch nicht so tief gesunken, dass sie tagsüber ferngesehen hätte, wie so viele andere in ihrem Alter.
Der
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