Blumen für den Führer
Knecht mit diesem Mittel niederzwingen konnte. Es schien jedenfalls, als wagte sich der Knecht nicht weiter vor.
»Was würdest du denn sagen, wenn ich dir erzähle, dass dein Vater mir freie Hand lässt. Buchstäblich.« Hannes lachte. »Ich darf dir eine Lektion erteilen. Damit du lernst, wo oben und unten ist, wo geflogen wird und wo die Scholle ist, um die wir uns kümmern, damit es weitergeht. Sagt dein Vater.« Er streckte seine flache Rechte vor und präsentierte sie. »Glaubst du vielleicht, dass du stärker bist? Versuch es gar nicht erst, tust dir nur weh, du Ratte.« Damit machte er einen großen Schritt auf Jockel zu, der aber stehen blieb, das Kinn vorstieß. Hannes holte aus. Jockel duckte sich. Der Knecht war schnell. Er drehte sich und traf diesmal. Es brannte auf der Wange.
Jockel lief nicht weg. Er wusste ja, dass Hannes ihn nur schlagen konnte, weil Helmuth fehlte. Aber Helmuth war nicht tot, er war nur fort, und er, Jockel, konnte Briefe schreiben. »Mein Bruder ist nicht aus der Welt«, rief er. »Ich schreibe ihm. Dir ist doch klar, was dann passiert!«
Der Knecht schlug auf ihn ein. Doch Jockel wollte sich nicht wehren, er wollte sich nicht zwingen lassen. Hannes trat nach ihm. Jockel wich kaum aus. Beim vierten Tritt erwischte er den Stiefel mit der Hand. Er hatte ihn nicht fassen
wollen, die Hand bewegte sich von selbst. Sie riss den Stiefel in die Höhe. Sie sollte ihn nicht drehen und tat es dennoch: Der Knecht hüpfte wütend auf der Stelle. Dann verlor er das Gleichgewicht. Er stürzte rücklings in das Heu, riss weit die Augen auf, und seinem Mund entfuhr ein viel zu langes, sonderbares Schnaufen.
ZWEITER TEIL
Tausendschön
Die fremde Mutter
N och nie hatte ihr eine »Bedienstete« Guten Tag gesagt und dabei einen Knicks gemacht, wenn auch nur angedeutet. Es war so fremd, dass Reni nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Sie biss sich auf die Zunge, grüßte höflich zurück und betrat die Eingangshalle von Gut Haardt.
Die etwas muffige Luft war kühl, das Licht gedämpft. Die hohen Bogenfenster über dem Portal leuchteten farbig in die Eingangshalle. Neben dem breiten Treppenaufgang stand ein riesiger Schrank mit Türen, deren Blätter geschnitzte Jagdszenen enthielten. Auf den schweren Bodenfliesen lag ein Teppich, der größer war als der Eingangsflur von Ulmengrund und dicker als ein Ziegelstein.
Der Kutscher hatte Reni pünktlich abgeholt und hergebracht, ihr aus dem Einspänner geholfen und den Wagen zu den Remisen gefahren.
Jetzt wies die Hausdame auf eine breite Innentür und klopfte an. Eine Stimme drang durchs dunkle Holz. Die Klinke machte ein zirpendes Geräusch. Die Dame öffnete die Tür, und Reni trat mit leichtem Schwindel in einen großen Raum, in den das graue Wolkenlicht durch vier große Fenster fiel, vor denen halb zugezogene lindgrüne Vorhänge hingen.
Sie zog ihr langes Sommerkleid glatt, das hübsche Plusterärmel
hatte und einen geklöppelten Kragen, nach dem sie immer wieder tastete, weil sie nervös war. Sie schaute auf die Schnallenschuhe und ihre weißen Kniestrümpfe, ob sich irgendwo ein Fleck versteckte. Ihr Mund war pulvertrocken. Sie wischte sich den nackten Arm, die makellose weiße Haut, auf der die Härchen aufgerichtet standen. Sie zwang sich, Ruhe zu bewahren.
Ferdinand Graf Haardt saß vor einem breiten, reich verzierten Schreibtisch, der mit der Schmalseite unter einem der Fenster stand.
»Also das Fräulein Reni Anstorm«, sagte er, ohne aufzublicken.
Sie machte ihren Knicks und sagte Guten Tag. Bedankte sich für seine Einladung, so wie Frau Misera es ihr einge – bläut hatte. Sie sah ihn an und erkannte sofort wieder Tante Magda.
Er deutete flüchtig auf eine Gruppe großer Sessel und murmelte, sie solle sich setzen und ein wenig Geduld haben.
»Ach nein«, korrigierte er sich. »Geh bitte hinaus und sage Fräulein Dohm, wir möchten Tee. Darjeeling.«
Reni verstand das Wort nicht. Einen Moment hatte sie Angst nachzufragen. Dann fasste sie sich ein Herz.
»Darjeeling«, erklärte er, »das ist der Name eines sehr feinen Tees aus Westbengalen. Er wird dir schmecken. Und er ist nichts für Kinder.«
Sie ging zurück zur Tür und öffnete. Das Treppenhaus war leer.
»Du musst sie rufen. Laut. Sie nimmt es dir nicht übel.«
Reni holte Luft und rief, zu leise: »Fräulein Dohm?« Sie wartete nervös. In diesem Moment kam ihr ein Gedanke, der sie zu überwältigen drohte. Ihre Mutter, die sie gar nicht
kannte, hatte in
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