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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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ein Buch geliehen, das ich sehr liebe. Aus meinem Leben und Denken von Doktor Albert Schweitzer. Ich habe es zweimal gelesen, manche Stellen drei- oder viermal. Mein Vater ist daraufhin Urwalddoktor geworden und meine Mutter Krankenschwester. Sie helfen den kranken Negern im Gabon, so heißt das Land in Afrika. Es liegt am Äquator und dort geht die Sonne über das ganze Jahr um sechs Uhr morgens auf und um sechs Uhr abends unter. Doktor Schweitzer ist Theologe, Arzt wurde er erst später. Als das Straßburger Waisenhaus abbrannte, bot er dem Direktor an, ein paar der unglücklichen Kinder bei sich aufzunehmen. Aber der Direktor ließ ihn gar nicht ausreden. Doktor Schweitzer hat dann einem Pfarrer bei der Unterstützung von Bedürftigen geholfen. Er hat ihre Sorgen nicht nur angehört, er hat versucht, diese Probleme aus der Welt zu schaffen. Kurz vor dem Krieg ist er dann mit seiner Frau nach Afrika gereist und hat dort das Urwaldspital gebaut. Ich finde das großartig. Ich möchte ebenfalls Medizin studieren.« Sie war
jetzt vollkommen überzeugt, dass der Graf, ihr Vater, diesen Plan genauso unterstützen würde wie Fräulein Knesebeck, die ihr stets Mut zusprach.
    Der Vater lächelte. Ein bisschen wie die Mutter: Wie sie dort auf das Kind blickt, das auf der Leitersprosse sitzt und diesen liebevollen Blick gar nicht bemerkt. Einen Moment konnte sie nicht sprechen. Dann lachte sie verlegen in ihr Weinen und sagte: »Ich bin Ihnen so dankbar, Herr Graf Haardt!«
    Der Vater nickte. Sie liebte ihn schon jetzt. Sie fasste sich und nahm das Taschentuch, das er ihr reichte.
    »Das ist mein Glück«, sagte sie leise. Dann trank sie etwas Tee und wurde ruhiger.
    »Ich habe gelesen«, sagte sie, »dass Doktor Schweitzer einen dringenden Bedarf an Wellblech hat. Als er die Hütten baute, gab es für die Dächer nur Schilf. Vielleicht könnten Sie die Gräfin fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, dieses Wellblech auf ein Schiff zu laden, das es nach Lambarene bringt.« Alles schien leicht und einfach. Er musste jetzt nicht Ja sagen. Es genügte ihr, wenn er verstand, wie sie fühlte, was sie dachte.
    Er räusperte sich und nahm Haltung an, obwohl er saß. »Wir werden sehen, Reni. Ich habe dir ja gestern bereits gesagt, dass wir die Begegnung nächste Woche vernünftig vorbereiten müssen. Ich setze voraus, du hast verstanden, dass diese Angelegenheit eine weit größere Bedeutung hat als alles, was bislang zwischen uns zur Sprache gekommen ist. Ich denke dabei vor allem an die Art, wie du dich dort bewegen wirst und was du beispielsweise antwortest, wenn dir eine Frage gestellt werden sollte.«
    Der Vater stand auf, wischte mit zwei Fingern sein Kinn und hakte beide Daumen in die Seitentaschen seiner Weste.

    »Wir stellen uns einmal das Folgende vor: Der Führer betritt die Tribüne des Olympiastadions. Er geht zum Mikrofon und beginnt zu sprechen. Die Welt hört ihm zu. Ihm zur Seite stehen die Adjutanten* und Ehrengäste. Wir sehen ein wahres Fahnenmeer. Es wird eine äußerst ergreifende Atmosphäre entstehen, die durchaus erfordern kann, dass du dich sehr zusammenreißen musst. Es darf nicht passieren, dass du ohnmächtig wirst oder so etwas. Achte darauf, dass du etwas getrunken und gegessen hast. Sollte dir der Führer eine Frage stellen, antwortest du mit klaren, einfachen Worten.«
    Reni nickte.
    Sie dachte an das Wellblech und wie nah sie daran war, diese ungeheure Hilfe zu bewirken. Womöglich würde Doktor Schweitzer ihr einen persönlichen Dankesbrief schreiben, aus Afrika, weil die Ladung Blech eingetroffen sei und man damit begonnen habe, die alten Schilfdächer der Krankenhütten auszutauschen, sodass es nie wieder reinregnet.
    »Ich habe Frau Misera auch einige Anweisungen erteilt, was deine Ausstattung mit angemessener Kleidung betrifft«, fuhr der Vater fort. »Sollte es in dieser Hinsicht einen Mangel geben, werde ich selbstverständlich finanzielle Hilfestellung leisten.« Er wanderte mit den Augen an einem Bücherregal entlang, das sich an den noch offenen Schrank anschloss.
    »Du kannst dir denken, dass ich dich in Berlin avisiert habe. Man ist dort unterrichtet; ich musste sogar Fotografien aus Haus Ulmengrund vorlegen. Man erwartet ein aufgewecktes deutsches, ungewöhnlich hübsches Mädel, höflich, gewandt, eben alles, was eine solch außergewöhnliche Aufgabe erfordert. Du weißt schon, ein buntes Kleid und Zöpfe, wirklich mädelhaft eben. Was du in Ulmengrund trägst, ist natürlich auch

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