Blumen für den Führer
diesem Haus, in diesen Zimmern gearbeitet. Wie Fräulein Dohm gewiss, die plötzlich vor ihr stand.
»Wünscht der Herr Graf vielleicht Darjeeling?«, fragte sie und lächelte.
Reni bedankte sich. Sie hatte das Wort vergessen.
Sie ging in das Arbeitszimmer zurück und nahm in einem der Sessel Platz. Es roch ein bisschen staubig, wie in der Kleiderkammer von Haus Ulmengrund. Graf Haardt beachtete sie nicht, er las und machte sich Notizen. Eine Standuhr tickte träge. Hinter all der Aufregung und Nervosität schlich plötzlich Erschöpfung hervor und machte ihre Lider schwer. Sie schloss ein paarmal die Augen, blieb jedoch aufmerksam, aus Angst und der Gewissheit, dass sich Graf Haardt jeden Moment ihr zuwenden würde.
Es klopfte.
Fräulein Dohm trat ein, trug ein Tablett und stellte es auf einen runden, niedrigen Tisch, der nicht bei den Sesseln stand, sondern gleich an der Tür. Sie füllte zwei Tassen, trug die erste zum Schreibtisch, kehrte sogleich zurück und bediente Reni.
»Danke, Fräulein Dohm«, sagte sie leise. »Es tut mir leid. Ich hätte mir den Tee auch selber eingegossen.«
Die Dame machte wieder einen schwachen Knicks und verließ das Zimmer.
»Nein, nein«, sagte der Graf, als sie hinausgegangen war. »Das wirst du dir abgewöhnen müssen. Du kannst dir doch denken, dass das Hauspersonal durch solche Bemerkungen verunsichert wird.«
Reni entschuldigte sich unsicher.
»Ich möchte auch nicht, dass du dich entschuldigst. Bei niemandem, verstehst du? Es gehört sich nicht. Du bist kein Fräulein Dohm, Reni.«
»Ein halbes schon«, sagte sie und bereute es sofort.
Er schaute hoch und sah sie an. »Auf den Mund bist du nicht gefallen. Das ist schon mal gut.« Er schwieg einen Moment. Dann fragte er: »Wie denkst du über mich, Reni? Hat man dir erzählt, ich hätte einen Jungen aus Abtsroda mit der Reitgerte geschlagen … Das ist sehr lange her, ich bin nicht stolz darauf.«
Sie wusste nicht, was sie darauf hätte sagen können.
»Dir ist sicher klar, dass es mich interessiert, wie du über mich denkst. Ich meine, das Schicksal bringt uns mir nichts, dir nichts zusammen, und wir haben die Chance, es gut und wohlwollend beginnen zu lassen. Ich muss gestehen, dass ich als Vater ungeübt bin, ich hoffe, nicht untauglich. Worin ich jedoch tauge, das ist Menschenführung, und da kannst du von heute an etwas lernen, wenn du guten Willens bist.«
Er stieß die Papiere auf der Schreibunterlage zusammen, legte sie zur Seite und stand auf. Er ging zu einem großen, dunklen Schrank und öffnete die beiden schweren Türen.
Er nahm etwas heraus und trug es zu ihr herüber. Es war eine kleine, schwarze Ledermappe, die er auf den niedrigen Holztisch legte, der die Sessel miteinander verband.
»Es sind Bilder deiner Mutter.«
Er setzte sich ihr gegenüber, stand sofort wieder auf und holte seine Teetasse, die noch auf dem Schreibtisch stand.
Reni nahm die Mappe in die Hand. Während der Herr Graf die Tasse balancierte und sich wieder zu ihr setzte, legte sie die Mappe auf ihren Schoß.
»Sie kam vor fast zwanzig Jahren aus Berlin in unsere Gegend«, erzählte er. »Ihre Eltern hatten im Krieg einen kleinen Kohlenhandel, der jedoch kaputtging. Ihr Vater wurde krank, verlor alles, was er zusammengespart hatte, und landete wegen
irgendeiner Dummheit im Zuchthaus. Seine Frau, deine Großmutter, kam mit dem einzigen Kind nicht zurecht, und so ist deine Mutter hierhergekommen, da war sie gerade siebzehn. Zuerst hat sie in Gersfeld bei einem Holzhändler gearbeitet, dann hat einer unserer Kutscher sie kennengelernt, der hat sie hergebracht, und ich habe sie als Hausmädchen und für die Waschküche eingestellt.« Er sah Reni an.
Sie hatte das Gefühl, als ginge sie nichts von dem, was er gesagt hatte, etwas an. Und war es nicht im Grunde so?
Sie schlug die Ledermappe auf.
»Ihr Name ist Charlotte«, sagte er.
Unter ein paar aufgeschnittenen Kuverts mit Briefen lagen vier Fotografien.
Charlotte Anstorm , dachte Reni. Es fiel ihr schwer, bei diesem fremden Namen an die verlorene Mutter zu denken. Sie merkte, dass sie gleich weinen würde.
Auf dem ersten Bild saß ein Kind, keine zwei Jahre alt, auf der mittleren Sprosse einer hohen Klappleiter. Es blickte gerade in die Kamera und zeigte seine Zungenspitze. Zwei Frauen links und rechts flankierten es und achteten darauf, dass nichts passierte. Eine der beiden musste ihre Mutter sein.
Reni drehte die Fotografie und zeigte sie dem Grafen. Wortlos. Er
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