Blumen für den Führer
überreicht. Gestatten, Fernau, Hauptsturmführer.*«
Er hatte helle blaue Augen, und auf der Oberlippe sah Reni eine feine Narbe, von der sie sich nicht schnell genug lösen konnte. Sie wurde feuerrot.
»Ihr Herr Vater telefoniert im Konferenzzimmer. Er bat mich, Sie nicht allein zu lassen.«
Reni war überwältigt. Sie bedankte sich und versuchte, sich zu beruhigen. Aber der junge Offizier, wie er sie angesprochen hatte, die ferne Menschenwand, das ungeheure Stimmenrauschen aus dem Stadion, die ganze Welt mit einem Mal, ihr Leben überhaupt – das alles war so viel und groß und hell, dass sie ausgerechnet jetzt die Tränen nicht zurückhalten konnte.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Komtesse? Möchten Sie etwas trinken? Wir haben einen Raum, dort können Sie sich setzen.« Er führte sie quer durch die Gruppen. Immer wieder musste sie über die Balkonbrüstung schauen und sah die Farben, Fahnen und das Meer der Menschen.
Am Ende eines kurzen Flurs betraten sie ein Zimmer. Die Stille überraschte Reni. Sie setzte sich auf eine gepolsterte Bank und schaute zu, wie ihr Begleiter an einem Tisch ein Glas mit Wasser füllte. Er drehte sich zu ihr und deutete auf einen hübschen Strauß blauer Wegwarte und violetter Kalkastern, der gleich neben ihm in einer Vase stand.
Er lächelte und nickte mit hochgezogenen Brauen. Sie sah seine weißen Zähne. »Ihr Vater ist sehr stolz auf Sie.«
Als er ihr das Glas reichte, sagte er: »Ich habe noch keinen Menschen erlebt, der nicht zutiefst beeindruckt war vom Führer, sobald er ihm persönlich gegenüberstand. Ich bin selber jedes Mal erneut bewegt. Es ist, als fühlte man die Kraft und Energie in seinem Herzen.« Er fasste sich an die Brust. »Einmal blickte er mich auf diese besondere Weise an, sehr
lange, und sagte: ›Fritz, Sie sind so ein Mensch, der in seiner Persönlichkeit vorwegnimmt, was ich im deutschen Volke wachsen lassen möchte. Sie sind sozusagen mein Modell.‹ Ich hätte weinen können vor Glück.«
Der junge Offizier war gerührt, seine eigenen Worte bewegten ihn so sehr, dass er sich wegdrehen musste.
Dann straffte er seine Haltung und sagte: »Wer von ihm nicht ergriffen ist, der ist kein Mensch.«
Reni zögerte. Sie war zugleich erschreckt und tief berührt von diesem Maß an Offenheit. Sie trank das Wasser und blickte auf den Strauß aus einfachen Feldblumen. »Ich habe trotzdem Angst.«
»Das verstehe ich, Komtesse Renate. Jedes Mal wenn er den Raum betritt, muss ich alle Kraft zusammennehmen.« Er zögerte, dann fügte er leiser hinzu: »Ich habe ein Gedicht für ihn geschrieben.« Sein Ausdruck wurde flehend, in Erwartung, wie sie reagierte.
Die Tür ging auf, der Vater trat herein. »Hier habt ihr euch versteckt!«
Der Begleiter wurde bleich und schlug die Hacken aneinander. »Ihre Tochter hatte Durst, Herr Graf.«
»Zeigen Sie mir Ihr Gedicht?«, fragte Reni und sah die blauen Augen an.
»Was für ein Gedicht?«, fragte der Vater.
»Ach, gar nichts«, sagte Friedrich Fernau und hüstelte verlegen. Jetzt war er ihr böse, das spürte sie.
»Herr Fernau schreibt Gedichte«, erklärte Reni, »und ich habe ihm erzählt, dass ich das auch manchmal tue.«
»Ist das wahr? Warum hast du es Frau Doktor Miegel nicht gesagt? Es hätte sie interessiert.« Der Vater hatte keinen Sinn für das Gespräch, er sah nervös zur Tür und auf den
Flur hinaus, wo es belebter wurde. »Ich wusste nicht, dass Sie Gedichte schreiben, Fritz. Renate schreibt bemerkenswerte Briefe. Sie würden Augen machen.«
»Wenn Sie erlauben, können wir unsere Schriften einmal tauschen und darüber reden.«
»Jetzt wird es aber Zeit«, sagte der Vater. Er bat Reni aus dem Zimmer und führte sie den Flur entlang zu einem anderen Raum, der überfüllt war. Uniformen und Zivil, Reporter, Damen, Polizei. Es blitzte grell. Der Vater drängte sich durch die dicht Stehenden und achtete darauf, dass Reni folgte.
Hinter ihr ging Fritz und trug den Blumenstrauß. Er lächelte, wenn sie ihn ansah. Er war ihr überhaupt nicht gram, sie hatte sich geirrt und freute sich. Hoch über seinem Kopf tanzten die schönen Sommerblumen.
Es wurde immer enger. Der Stimmenlärm nahm zu.
Plötzlich hatte Reni das Gefühl, schon zu wissen, was in ihrem Leben geschehen würde. Sie würde glücklich werden – nichts schien gewisser. Sie drehte sich zu Hauptsturmführer Fernau um und lächelte zurück, vollkommen überzeugt. Sie musste glücklich werden! Es war, als ob ein Stein zur Erde fiele,
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