Blumen für den Führer
nichts konnte ihn zum Halten bringen. Sie wurde Ärztin, half vielen Menschen in der Welt; sie würde heiraten, Kinder haben, hundert Freunde finden, reisen, Briefe und sogar Bücher schreiben, tausend Menschen treffen, leben, leben, glücklich sein … Sie wandte sich zur Seite und erstarrte. Vor sich erkannte sie den Kopf und das Profil, das streng gekämmte Haar. Dass es ihn also wirklich gab!
Sie wich zurück und wurde abgedrängt. Der Vater winkte. Sie reckte sich empor. Da war er noch einmal: der Führer, dem sie gleich von Angesicht zu Angesicht begegnen würde!
Und schon zum Fassen nah! Die Poren seiner Haut, ein ausgefallenes Haar und ein paar Schuppen auf dem schwarzen Kragen. Ach, Friederike!, dachte sie zutiefst bewegt, dem Weinen nah, aber auch verwirrt. Sie hatte sich den Führer so viel größer vorgestellt.
DRITTER TEIL
Mädchenblüten
Der Entschluss
D ie Schlafkammer in der von Korff empfohlenen Pension Reichsadler in Fulda fasste nicht mehr als das Bett, einen Schrank mit einer Tür und einen Küchenstuhl. Das Fenster hatte die Größe eines Geschirrhandtuchs und ließ das blass-graugelbe Licht eines dunklen Schachts herein. Nach der Ankunft am Vortag hatte die Wirtin der Pension Waltraut gebeten, es möglichst nicht zu öffnen, weil ein Scharnier zerbrochen sei und die Gefahr bestand, dass sich das Fenster nicht mehr richtig schließen ließe.
Waltraut war am Vortag zu Fuß gekommen. Je weiter sie sich von Korffs Hinterhofwohnung entfernt hatte, in der der Junge zurückgeblieben war, umso bedrückender war ihre Stimmung geworden. Sie verstand nicht, warum Frau Misera sie hinausgeworfen hatte – anders konnte man es ja nicht bezeichnen. Was hatte sie verkehrt gemacht? Die Anschuldigungen der Leiterin waren doch aus der Luft gegriffen und unsinnig. Die Mädchen mochten sie, Waltraut, das war sonnenklar. Es musste mit der Art zu tun haben, wie sie mit ihnen redete und umging; alles andere machte noch weniger Sinn.
Die Wirtin weckte Waltraut ziemlich früh. In der ersten Nacht außerhalb von Ulmengrund hatte sie schlecht geschlafen. Sie wisse, meinte die Wirtin, dass das Fräulein Knesebeck
von »diesem Korff« herkomme, einem Bekannten ihres Mannes, dem sie jedoch misstraue. »Wenn Sie Frühstück wollen, es kostet eine Mark«, sagte sie. Dann ging sie in die Küche.
Waltraut stand auf, wusch sich und zog sich an.
In der Küche schwitzten die Fenster. Die Frau war vielleicht vierzig, schätzte Waltraut. Ihr Haar war hochgesteckt, der Mund geschminkt, die Augen wirkten etwas asiatisch. Sie war hübsch. Gestern dagegen hatte sie sehr müde ausgesehen.
»Ich hoffe für Sie«, sagte sie, »dass Herr Korff Sie nicht in Schwierigkeiten bringt. Wäre nicht das erste Mal. Ich warne meinen Mann, aber er hört mir gar nicht zu. Die Zeiten ändern sich nun mal.«
Waltraut sagte nichts.
Die Wirtin stellte eine Tasse Kaffee auf den Tisch, etwas Brot, Margarine. Waltraut hätte die Sachen am liebsten mit auf ihr Zimmerchen genommen.
»Ich will nicht sagen, dass Korff ein ausgesprochen schlechter Mensch ist«, fuhr die Wirtin fort. Zwischen ihr und Waltraut stand eine kleine Mauer aus flüchtig zusammengelegten Wäschestücken, die offenbar gebügelt werden sollten.
»Ich kenne Herrn Korff nur flüchtig«, sagte Waltraut. »Beruflich sozusagen.«
»Darf ich fragen, was Sie machen?«
»Ich bin Erzieherin.«
»Ach so.« Die Wirtin pustete, ließ weitere Wäschestücke an den Zipfeln hängen, um sie dann grob zu falten. Die Mauer wurde langsam höher. »Der Mann sorgt für Unruhe, ich meine diesen Korff. Weil er die Dinge nicht so lassen kann, wie sie nun mal sind. Mein Mann kennt ihn aus dem Krieg. Wenn die Männer dort mal einen Bund geschmiedet haben,
kann niemand mehr in sie dringen. Heiraten Sie nie einen, der im Krieg war.« Sie lächelte bitter. »Jedenfalls habe ich mir angewöhnt, ein bisschen argwöhnisch zu sein, wenn dieser Mensch uns jemanden ins Haus schickt.«
»Danke«, sagte Waltraut.
»Na ja. Nehmen Sie es nicht persönlich. Aber schauen Sie sich um. Dann sehen Sie doch selbst, dass es nötig ist, sich vor gewissen Menschen in Acht zu nehmen!«
»Was tut Herr Korff denn Schlimmes?«
»Er ist mit allem unzufrieden. Wenn man ihm sagt, dass es langsam bergauf geht, antwortet er: ›Ja, aber zu welchem Preis.‹ Er knattert mit seinem Gefährt durch die Straßen und soll gefälligst froh sein, dass sie ihn noch fahren lassen. Immerhin ist er Kommunist. Mein Mann streitet es zwar ab,
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