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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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beinah verschlungen hätte und ihr die eigene Stimme nahm.
    Das sollte sie erzählen? Mit welchen Worten denn? Sie ließ die Arme hängen und holte wieder Luft.
    Dann sagte sie: »Eigentlich ist gar nicht viel passiert. Was mich betrifft.«
    »Reni, nun sei mal nicht bescheiden«, meinte Frau Misera.
    »Ich weiß nicht, wie ich es berichten soll. Jedenfalls möchte ich meinem Vater und Frau Misera danken, dass sie das ermöglicht
haben.« Sie drehte sich zur Seite. »Entschuldigen Sie, Herr Hauptsturmführer. Ihnen danke ich natürlich ebenfalls.« Sie hatte immer noch zu wenig Luft. »Es ging alles furchtbar schnell … Die vielen Menschen …«
    »Bitte, versuche es, Reni«, sagte Frau Misera mit ungewöhnlich weicher Stimme.
    Reni schaute auf das braune, glatte, pomadisierte Haar des Offiziers. Ihr Mund war trocken.
    »Ich trat auf den Balkon … Der Führer sprach … Er sprach in ein Mikrofon … Als er zu Ende geredet hatte, drehte er sich zu mir um, ich glaube, nur aus Zufall, weil er mich nicht sah. Herr Fernau wies den Führer auf mich hin.«
    »Und dann?«, fragte die Leiterin mit großen Augen.
    »Ich habe ihm den Blumenstrauß gereicht und der Führer hat mir die Hand gegeben.« Unter den Mädeln kam Unruhe auf. Reni fuhr mutig fort: »Er gab mir die Hand und ich nahm sie.«
    »War sie warm?«, fragte Friederike in der ersten Reihe. Sie hatte wieder Farbe und war gesund. Reni hatte sich gefreut, als sie gekommen war, und Friedel lange und fest gedrückt.
    »Hast du denn nichts gesagt?« Karin streckte sich weiter hinten empor und winkte Reni zu.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht.«
    »Du hättest etwas sagen müssen, Kind«, merkte Frau Misera an. »Ich will dir damit natürlich keinen Vorwurf machen, aber …«
    »Der Führer hat sich über die Blumen sehr gefreut«, erklärte der Vater und legte beide Hände auf den Fahnenstoff. »Erzähl uns bitte, mein Kind, was hast du gefühlt?«
    Sie sah ihn an und war bewegt, dass er sie vor allen Leuten als seine Tochter ansprach. Am liebsten hätte sie ihm jetzt dafür
gedankt oder ihn umarmt, aber das ziemte sich natürlich nicht. Sie wäre gerne aufs Zimmer gelaufen und hätte ihre Sachen gepackt. Gleich jetzt und nicht erst morgen oder übermorgen.
    »Ich war sehr stolz.«
    Sie musste schwindeln, es ging nicht anders. In Wahrheit hatte sie überhaupt nichts gefühlt außer Angst und Aufregung. Aber das zu sagen, würde sie dem Vater niemals antun.
    »Ich fühlte Stolz und Dankbarkeit.« Sie sah Fräulein Kaul an, die Erzieherin aus München, der am Morgen, als Reni mit dem Vater den Hausflur betreten hatte, eine kleine Dummheit herausgerutscht war. »Do schau her, die Hüttlerin!«, hatte sie gerufen. Reni hatte lachen müssen.
    »Der Führer lenkt alles in gute Bahnen«, fuhr sie fort. »Er ist einer der großen Menschen in der Geschichte, wie Jesus oder Goethe.« Plötzlich gefiel ihr der Vergleich nicht mehr. »Er hat jedenfalls ein gutes Herz, das habe ich in seinem Blick gesehen.«
    »Er hat dich also angesehen«, stellte ein Mädel von der Saalseite her fest.
    »Aber ja doch!«, rief Friederike, bevor Reni etwas sagen konnte.
    Sie nickte und äugte zum Vater, um sich seiner Zustimmung zu vergewissern. Sie war plötzlich unsicher, ob das, was sie bisher gesagt hatte, zufriedenstellend war. Sie war so stolz auf ihren Vater, auf ihn und auf den Führer, und sie war furchtbar froh, dass diese beiden edlen Männer in ihrem zukünftigen Leben eine so wichtige Rolle spielen würden. Sie schwor sich, nicht müde zu werden (wie Frau Misera sagte), in ihrem ganzen Leben deren hohe Ziele zu verfolgen.
    »Der Führer hat mich angesehen und mich gesegnet«,
setzte sie hinzu und glaubte, was sie sagte. »Ich konnte fühlen, dass er mich verstand und dass sein Wille in mich eingegangen ist und dass er mir mit seinem Blick die größte Kraft verliehen hat.«
    »Großartig, außerordentlich«, sagte der Vater stolz. Die Leiterin begann zu klatschen und ergänzte: »Das ist die Größe unseres Führers!«
    Reni lächelte. Sie musste daran denken, dass er ihr überraschend klein erschienen war. Aber auf körperliche Größe kam es hier nicht an. Die wahre Macht war eine andere Größe, die Größe Schillers, Luthers, Alexanders.
    »Er ist sehr groß …«
    Sie log. Aber die Lüge hatte einen großen Zweck.
    »… seine Hände sind trocken und warm. Seine hohe Stirn ist rein und weiß. Er riecht nach Seife. Sein Haar duftet und seine Lippen haben eine schöne

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